Wie E-Autos mit künstlichen Geräuschen lauter werden
Berlin – Elektroautos faszinieren unter anderem, weil sie so leise losgleiten, als laufe gar kein Motor. Doch bei niedrigen Geschwindigkeiten birgt das im Stadtverkehr oder dem Rangieren auf dem Supermarktparkplatz eine Gefahr.
Erst ab rund 20 bis 30 km/h sind sie aufgrund der dann vorherrschenden Reifenabrollgeräusche so laut wie ein Auto mit Verbrenner. Weil Fußgänger und Radfahrer das E-Auto bei geringerem Tempo nicht hören können, steigt das Unfallrisiko.
So ist unter anderem die Europäische Union tätig geworden. 2014 wurde die
Verordnung Nr. 540 unter anderem über den «Geräuschpegel von Kraftfahrzeugen» erlassen. Demnach müssen die Hersteller in der EU ab 1. Juli 2019 alle neuen Elektroautotypen mit einem Warnton ausrüsten, ein sogenanntes AVAS (Acoustic Vehicle Alerting System).
Mehr Geräusch für mehr Sicherheit
Der nächste Schritt dann zwei Jahre später: «Bis spätestens 1. Juli 2021 bauen die Hersteller in allen neuen Hybridelektro- und reinen Elektrofahrzeugen ein AVAS ein», so die Vorgabe der Verordnung.
Dann greift sie nicht nur bei der Typzulassung eines Modells, sondern für jedes neu in den Verkehr gebrachte E-Auto – womit auch Plug-in-Hybride und Brennstoffzellenautos sowie elektrifizierte Busse und Nutzfahrzeuge gemeint sind.
Akustische Warnsignale bieten Hersteller elektrifizierter Autos wie etwa BMW, Nissan, Renault oder Volkswagen bereits zum Teil seit Jahren an.
Bei VW kommuniziert man ganz klar den Sicherheitsaspekt. Es bestehe eine Notwendigkeit, durch den Sound das Fahrzeug besser erkennbar beziehungsweise wahrnehmbar zu machen, sagt Sprecher Tim Fronzek.
Was ist der richtige Ton?
Und BMW-Sprecher Martin Tholund sagt: «Wir haben bereits zu einem frühen Zeitpunkt Versuche mit dem bayrischen Blindenverband durchgeführt, um maximale Wahrnehmbarkeit bei minimaler Schallemission zu erreichen.»
Die angepeilte Balance zwischen Wahrnehmbarkeit und Lautstärke deutet es an: Den richtigen Ton zu finden, das ist keine einfache Sache. Die Verordnung gibt ein Dauerschallzeichen vor, das bis zu einem Tempo «von etwa 20 km/h sowie beim Rückwärtsfahren» automatisch erzeugt werden muss.
Dabei soll es Rückschlüsse auf das Fahrzeugverhalten zulassen, also ob das Auto beschleunigt oder bremst und wie schnell es ist. Die meisten Hersteller übererfüllen die rechtlichen Vorgaben bei der Geschwindigkeit.
Arbeit mit Synthesizer und Drumcomputer
Sie lassen den E-Sound bis Tempo 30 erklingen, wenn in jedem Fall gesichert ist, dass Reifenabroll- und Windgeräusche für normales Hörvermögen wahrnehmbar sind.
BMW-Sounddesigner Renzo Vitale beschreibt den Weg zum richtigen Sound wie eine Schatzsuche mit Hilfe von Synthesizern, Drumcomputern und sogar einem Geigenbogen: «Er experimentiert mit neuen Sounds, indem er sie aufnimmt und in ihre Bestandteile zerlegt. Am Ende bleiben einzelne Fragmente übrig, aus denen wieder etwas völlig Neues entstehen kann», sagt Tholund.
Renault setzte Andrea Cera auf die Aufgabe an. Er ist Sound-Designer am Pariser Institut de Recherche et de Coordination Acoustique Musique, ein Forschungsinstitut unter anderem für Elektroakustik.
Klangbild mit Charakter
«Ziel in der Entwicklung war es, die wichtige Warnfunktion zu erfüllen, ohne Passanten zu stören», sagt Tholund.
Bei Mercedes war es laut E-Mobility-Sprecherin Madeleine Herdlitschka wichtig, die positive Eigenschaft des Leisegleitens weitestgehend zu bewahren: «Denn der niedrige E-Geräuschpegel wirkt sich nicht nur positiv auf den Fahrer, sondern auch auf den Verkehrslärm in Ballungsgebieten aus.»
Wichtig sei dennoch ein charakteristisches Klangbild, «welches durch sein Klangmuster zu verstehen gibt, dass sich ein Elektroauto nähert.»
VW will wie ein klassischer Motor klingen
Zugleich ist den Autobauern die Markenidentität wichtig: «Unser E-Sound folgt den gleichen Grundsätzen wie unsere Designsprache und hat somit den perfekten Fit zu unseren Produkten», sagt VW-Sprecher Fronzek.
VW nutzt als Warnton an einen Motor erinnernde Geräusche. Bei BMW spricht man von einem «eigenen, unverwechselbarer Klang». Auch Renault arbeitet an einer Audio-DNA, legt aber auch Wert darauf, dass ein kleines E-Fahrzeug nicht die gleiche Stimme hat wie ein großes.
In der Regel befindet sich die notwendige Hardware in Form kleiner Lautsprecher unsichtbar hinter den Stoßfängern oder – wie bei VW – im Motorraum. Dabei ist der erzeugte Sound auch im Innenraum hörbar, wenn auch leiser und dezenter.
Fotocredits: Daimler AG,Tom Kirkpatrick,Tom Kirkpatrick,Renault
(dpa/tmn)