Warum E-Scooter so viel Emotionen wecken
Köln – Eigentlich habe sich während seiner Abwesenheit in Deutschland gar nicht so viel verändert. Nur die E-Scooter irritierten ihn, sagte der Autor Deniz Yücel nach seiner Rückkehr aus der türkischen Haft in einem
Interview der «Zeit».
Eine Hamburger Politikerin nannte die Gefährte «rollenden Unsinn mit Batterieantrieb». Andere fahren seit einigen Monaten begeistert durch die Innenstädte, vorzugsweise zu zweit und betrunken. Man liebt sie oder man hasst sie – dazwischen scheint es nicht viel zu geben beim Thema E-Scooter im Jahr 2019 in Deutschland.
Mobilitätswende?
Als sie für den deutschen Markt zugelassen wurden, waren die Roller voller Verheißungen. Nicht viel weniger als eine Revolution der Mobilität in den Innenstädten, versprach Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). «Das Versprechen, was die Nachhaltigkeit angeht, war sehr, sehr groß», sagt der Mobilitäts-Experte Hannes Fernow von der Gesellschaft für Innovative Marktforschung. «Diesem großen Versprechen steht eine relativ nüchterne Realität gegenüber.»
Sie stehen im Weg, verursachen Unfälle und sehen dazu noch doof aus – so lassen sich die Gegenargumente und Statistiken in etwa zusammenfassen, die von Stadtbewohnern oder Polizeisprechern hinauf und hinunter zitiert wurden. Die Kölner Polizei trumpfte innerhalb der ersten Wochen fast täglich mit neuen Unfallmeldungen auf, Städte wie Köln und Düsseldorf verteilen mittlerweile längst Knöllchen für falsch abgestellte Roller. Die Anbieter der Leih-Roller hat man mittlerweile sanft an den Verhandlungstisch gezwungen, um über Probleme zu reden. Auch in Hamburg setzt man auf Kooperation.
Zweifelhafte Umweltbilanz
Erste Studien besagen: Die Umweltbilanz der E-Scooter wird den großen Versprechungen kaum gerecht. Laut einer Umfrage unter mehreren Tausend E-Scooter-Nutzern in Paris hätten die meisten ohne Roller die öffentlichen Verkehrsmittel genommen oder wären zu Fuß gegangen. Kaum eine Autofahrt, die dank Roller gespart wird. Die Lebensdauer der Roller und der Abtransport per Diesel-Transporter schlagen tendenziell ebenfalls negativ zu Buche, wenngleich belastbare Daten bislang weitgehend fehlen.
Dass die E-Scooter im Sommer von einem Tag auf den anderen auf den Straßen standen trägt Fernow zufolge dazu bei, dass sie von manchen als störend oder gar als Bedrohung empfunden werden. Bei anderen Sharing-Angeboten habe es die entsprechenden Fahrzeuge – also Autos oder Räder – auch zuvor schon gegeben. Die Scooter kamen, ohne dass sie jemand kannte. Einer Studie seines Instituts zufolge löst der Gedanke an die Roller bei 40 Prozent der 1000 Befragten «Ablehnung oder Ärger» aus und lediglich bei vier Prozent «Begeisterung».
Stellvertreter-Debatte
Für den Organisationsforscher Christoph Michels von der Universität Liechtenstein ist der Diskurs über E-Scooter eine Stellvertreter-Debatte. «Ich denke, dass die manchmal negativen Emotionen durch die potenzielle Störung der eigenen Routinen und Gewohnheiten geweckt werden – und dann auf das Bild der schlecht geparkten Roller projiziert werden», sagt Michels. Der Straßenverkehr werde damit noch stärker zu einem Raum, an dem man sich tagtäglich gegenüber anderen behaupten müsse.
Fernow hält die Roller aber auch deshalb für das perfekte Smalltalk-Thema, da zumindest jeder Stadtbewohner etwas dazu sagen könne: «Es betrifft uns alle, weil wir alle Verkehrsteilnehmer sind, vom Fußgänger bis zum Autofahrer.» Nach dem Gespräch sei das Thema dann aber auch wieder relativ unbedeutend, man könne kaum jemanden damit persönlich treffen.
Selbst vor karnevalistischem Spott ist der E-Scooter nicht gefeit. Der Düsseldorfer Hoppeditz, eine traditionelle Karnevalsfigur, fuhr am 11. November auf einem E-Scooter zu seinem großen Auftritt – und kam trotzdem zu spät. Ob die Roller und ihre Fahrer 2020 etwas mehr Ruhe finden, bleibt abzuwarten – schließlich hat der Karneval noch nicht einmal richtig angefangen.
Fotocredits: Jens Kalaene,Oliver Berg,-,Marcel Kusch
(dpa)