Von der Regierungskutsche zum Sammlerstück: Der Tatra
Angermünde – Warum die tschechische Automarke «Tatra» auch als «Mercedes des Ostens» bezeichnet wurde, merkt jeder, der in einem der elegant wirkenden Wagen Platz nimmt. Der Fahrgastraum ist großzügig gestaltet, die Polster sind breit und weich, man hält es lange auf ihnen aus.
«Es sitzt sich in keinem anderen Auto so gut. Auch nach 500 Kilometern am Stück hat mir noch nie der Rücken weh getan», sagt Iris Riesebeck. Die 77-Jährige wurde zu DDR-Zeiten als Abteilungsleiterin Materialversorgung in der PCK Raffinerie Schwedt (Uckermark) in so einem Dienstwagen gefahren.
Riesebeck hat in Angermünde (Uckermark) eine
private Sammlung mit acht eigenen Tatras und drei Leihgaben anderer Liebhaber der Marke. Die beiden ältesten Wagen stammen aus den 1930er Jahren, die jüngsten aus den 1990ern. Alles sind inzwischen Oldtimer und wertvolle Sammlerstücke: Die Tatra-Autos werden seit 1998 nicht mehr hergestellt. Die tschechischen Oldtimer seien heute pro Stück rund 100 000 Euro wert. «Ich kenne aber niemanden, der sich einen Tatra als Geldanlage anschafft», sagt Riesebeck.
Ihr vor zwei Jahren verstorbener Mann Jürgen war bereits zu DDR-Zeiten Tatra-Fan und Begründer der familieneigenen Sammlung. Der Angermünder betrieb eine Werkstatt für die DDR-Autos der Marke «Wartburg», später «Opel» in seiner Heimatstadt.
«Wenn mein Mann in Berlin dafür Teile abholte und einen Tatra sah, war er glücklich», erinnert sich seine Witwe. In der DDR-Hauptstadt gehörten die Fahrzeuge, speziell das Modell T 613, zur Regierungsflotte und waren auch als Diplomatenwagen im Einsatz. Für den «normalen» DDR-Bürger hingegen war es schwer, an die komfortablen Limousinen heranzukommen.
Jürgen Riesebeck träumte dennoch vom eigenen Tatra, den er 1983 durch einen annoncierten Tausch auch bekam. «Das war ein T 603 von dem etwa 3000 Stück in die DDR importiert worden waren», sagt Iris Riesebeck. Mit ihrem T 603 – gut fünf Meter lang, 168 PS stark und ein Verbrauch von zwölf Litern Benzin – bereisten Riesebecks die Ukraine und Tschechien, später Skandinavien und Spanien. «Der Wagen hat all das mitgemacht.»
Stolz ist die 77-Jährige auch auf das letzte Tatra-Modell, den T 700. «Von dem wurden nur 65 Stück produziert, zwei gibt es deutschlandweit noch, einer davon steht bei mir.» Sämtliche Wagen in der Tatra-Galerie habe ihr Mann eigenhändig restauriert und wieder fahrbereit gemacht.
Nach telefonischer Anmeldung führt Riesebeck Besucher durch ihr Auto-Museum. «Ich bin kein Techniker, sondern Ökonom», gibt sie sich bescheiden. Doch inmitten von Öl, Reifen, Gummi und Metall sprudeln die technischen Daten aus ihr heraus – «Zentralrohrrahmen mit Pendelachsen», «Acht-Zylinder-V-Motor», «luftgekühlter Heckantrieb». Für den Laien verwirrend, «Tatra»-Fans nicken wissend.
So auch Sven Ahrens, Chef des Internationalen Kreises der «Tatra»-Freunde. «Wir sind nur etwa 30 Fans zwischen der Ostsee und Dresden und haben hier in Angermünde unseren Treffpunkt. Ein öffentliches Museum gibt es ja nur im tschechischen Koprivnice», sagt der Barnimer, der selbst zwei Tatras fährt. Der Freundeskreis wolle den viertältesten Autohersteller der Welt vor dem Vergessen bewahren, der «Meilensteine im Automobilbau» gesetzt habe, sagt Ahrens.
Nicht nur im Osten Deutschlands hat der Tatra offenbar Fans. «Meinen Tatra 600, Baujahr 1950, habe ich 1987 in Amsterdam gekauft», erzählt der Münchner Robert Keil. Von Freunden sei er spöttisch gefragt worden, was er mit der «alten Ostschüssel» wolle, doch Keil ließ sich nicht beirren, fährt sein restauriertes Auto noch heute.
«Diese aerodynamische Form inklusive der markanten Heckflosse fasziniert mich, das ist alles schon sehr eigenwillig gestaltet und noch heute ein Hingucker», sagt Keil. Eines nerve ihn aber doch: die schwierige Ersatzteilbeschaffung.
Fotocredits: Patrick Pleul,Patrick Pleul,Patrick Pleul
(dpa)