Tuchels Tage beim BVB scheinen gezählt
Dortmund – Echte Liebe war es nie. In der schwierigen Beziehung zwischen Thomas Tuchel und Borussia Dortmund scheinen die Tage gezählt.
Selbst ein Sieg des Revierclubs im Pokalendspiel gegen Eintracht Frankfurt dürfte kaum dazu führen, dass sich beide Parteien in dem für die kommende Woche geplanten Gespräch auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit verständigen. Noch blendet der Fußball-Lehrer, der am Samstag (20 Uhr) in Berlin seinen ersten großen Titel gewinnen kann, den Gedanken an sein mögliches Ende beim BVB so gut wie möglich aus: «Die Saison ist noch nicht zu Ende und kann gekrönt werden.»
Selbst im schnelllebigen Geschäft Fußball erscheint es skurril, dass ein Trainer am Ende einer eigentlich erfolgreichen Saison um seinen Job bangen muss. Doch die Entfremdung zwischen Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Tuchel ist weit fortgeschritten. Die zuletzt vor den Augen der Öffentlichkeit ausgetragene Fehde der beiden Alphatiere erinnerte die «FAZ» gar an die erfolgreiche US-Serie «House of Cards», in der durchtriebene und machthungrige Politiker ein abschreckendes Intrigenspiel aufführen.
Wie schon im Vorjahr haben sich die Dortmunder vor dem Showdown abgeschottet. Die Trainingseinheiten finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Angesichts der Spekulationen, dass der BVB sich um Lucien Favre als Tuchel-Nachfolger bemüht, macht das Sinn. Nichts soll die Konzentration stören. Schließlich wollen sich alle Beteiligten nach zuletzt drei Pokal-Finalniederlagen in Serie eine weitere Pleite ersparen. Anders als zuletzt gilt der BVB als Favorit. Abwehrchef Sokratis brachte die in Dortmund vorherrschende Erwartungshaltung auf den Punkt: «Wir müssen in Berlin gewinnen, dann war es ein gutes Jahr.»
Dass Tuchel seine Amtszeit in Dortmund möglicherweise mit einer Jubelfahrt um den Borsigplatz beendet, dürfte kaum zum besseren Verständnis der Auseinandersetzung beitragen. Schon jetzt kommt in Fan-Internetforen und Leserbriefen in Dortmunder Zeitungen die Verwunderung zum Ausdruck, warum die Dickköpfe Watzke und Tuchel zu keiner Aussprache fähig waren. Der BVB-Chef wird deshalb seine ganze in den vergangenen Jahren gewachsene Autorität benötigen, um die Trennung zu erklären. Ohne Beulen wird jedoch auch er den monatelangen Zwist nicht überstehen.
Fachlich ist Tuchel über alle Zweifel erhaben. Eintracht-Coach Niko Kovac bezeichnete seinen Dortmunder Kollegen, bei dem er vor seinem Frankfurt-Engagement hospitiert hatte, als «absolute Koryphäe»: «Er ist ein Genie, so wie er seine Mannschaft Woche für Woche einstellt und in verschiedenen Systemen spielen lässt.» Ähnlich wohlgesonnen urteilte Matthias Ginter. «Was er taktisch draufhat, hab ich so noch nicht erlebt. Seine Gegner-Analyse ist hervorragend, genau wie die Trainingssteuerung. Er hat eigentlich alles, was man braucht», sagte der BVB-Nationalspieler der «Sport Bild».
Ein so uneingeschränktes Lob kam anderen Dortmunder Profis zuletzt trotz mehrfacher Nachfrage jedoch nicht über die Lippen. Das verstärkte die Resonanz auf Medienberichte, wonach namentlich nicht genannte Spieler ihren Trainer weniger positiv sehen. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Berichte wurden auch jenseits der Kabine Vorwürfe laut. Allgemeiner Tenor: die fehlende Kritikfähigkeit von Tuchel, seine Launenhaftigkeit, sein mitunter divenhaftes Verhalten gegenüber Angestellten, die fehlende Identifikation mit dem Verein.
Für den Matchplan-Macher und verschrobenen Fußball-Nerd Tuchel ist das Finale eine Chance, seinen Lebenslauf zu bereichern und sich für andere Clubs ins Gespräch zu bringen. Bisher steht nur der Meisterschafttitel mit der Mainzer A-Jugend 2009 zu Buche – im Endspiel gegen Borussia Dortmund.
In den vergangenen Tagen wurde Tuchel bereits als Korkut-Nachfolger in Leverkusen gehandelt. Sein Berater dementierte umgehend. «Das ist kein Thema. Thomas Tuchel hat einen Vertrag für die nächste Saison beim BVB», sagte Olaf Meinking der Deutschen Presse-Agentur. Ähnlich äußerte sich der Coach nach dem 4:3-Sieg im Bundesliga-Finale am vergangenen Samstag gegen Werder Bremen, mit dem die Borussia die direkte Champions-League-Qualifikation perfekt machte. Auf die Frage, ob er Lust auf eine weitere Saison beim BVB verspüre, reagierte er spontan: «Natürlich, das steht außer Frage. Ich hoffe, dass ich meinen Vertrag erfüllen darf.»
Ob Tuchel wirklich noch an diese Chance glaubt, erscheint fragwürdig. Dafür wurde in den vergangenen Tagen zuviel taktiert – auf beiden Seiten.
Fotocredits: Guido Kirchner
(dpa)