Sehen mit den Fingern: «Phänomen» Müller-Wohlfahrt wird 75
München – Das Geheimnis um Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrts scheinbar ewige Jugend würde auch Uli Hoeneß nur zu gerne erfahren.
«Er hat mir bis jetzt noch nicht verraten, welches Mittelchen er benutzt, um mit 75 Jahren so auszuschauen. Ich würde das gerne kennenlernen», sagte der Präsident des FC Bayern München angesprochen auf den runden Geburtstag des langjährigen Mannschaftsarztes an diesem Samstag. «Ich kann ihm nur alles alles Gute wünschen und hoffe, dass er weiter so fit bleibt wie er es jetzt ist.»
Wie 75 sieht Müller-Wohlfahrt wirklich nicht aus. Unvergessen die Bilder, wenn er mit seinem wehendem Haar auf den Rasen sprintete, den Physiotherapeuten an seiner Seite abhängte und dann einen Kicker des FC Bayern oder einen Nationalspieler versorgte.
Gute Erbanlagen, eine ausgewogene Ernährung, ein gesunder Schlaf und wohl auch der immer noch rastlose Einsatz für seine zahlreichen prominenten, aber auch weniger bekannten Patienten haben den Doc offenbar jung und in Form gehalten. «Meine Patienten brauchen mich», begründete Müller-Wohlfahrt einmal seinen unermüdlichen Einsatz.
Die Weltstars des Sports danken es ihm. «Der Sieg gehört ihm, er hat mir nach den ganzen Verletzungen in all den Jahren immer wieder zurück auf die Beine geholfen», lobte Supersprinter Usain Bolt nach seinem olympischen Gold-Triple 2016 in Rio de Janeiro die medizinischen Künste des Pastorensohns.
Die Lichtgestalt der Leichtathletik ist bei weitem nicht der einzige Spitzensportler, der zu den Patienten des am 12. August 1942 im niedersächsischen Leerhafe zur Welt gekommenen Arztes zählt. Der dreimalige Wimbledonsieger Boris Becker ließ «Mull» früher immer wieder zu großen Turnieren einfliegen, Skiflieger Sven Hannawald oder Eiskunstläuferin Katarina Witt vertrauten ihm. Und natürlich Fußballer – nicht nur vom FC Bayern – sind Stammgäste in der Praxis von Müller-Wohlfahrt in der Münchner Innenstadt.
Unter dem damaligen Bayern-Coach Jürgen Klinsmann nahm er 2008 wegen der Neugestaltung seiner Praxis beim FC Bayern eine Auszeit, Mannschaftsarzt ist er seit April 2015 endgültig nicht mehr. Vorausgegangen waren Meinungsverschiedenheiten mit dem damaligen Münchner Trainer Pep Guardiola. Müller-Wohlfahrt und seinem Stab war nach einer Verletztenmisere das 1:3 im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League in Porto angekreidet worden.
«Er ist nach wie vor da, es ist nicht so, dass er ganz weg ist. Er war lange lange, viele Jahrzehnte der Arzt der Mannschaft und wird noch immer konsultiert, wenn mal ein besonderes Problem ist», sagte Hoeneß über Müller-Wohlfahrt, der fast 40 Jahre Münchner Teamarzt war. «Der eine oder andere Spieler geht nach wie vor zu ihm hin.»
Ob Arjen Robben oder die Nationalspieler von Bundestrainer Joachim Löw – das Wort Müller-Wohlfahrts hat immer noch Gewicht. «Er ist eine Kultfigur, ein Phänomen als Arzt und als Mensch, er ist hilfsbereit», lobte der frühere Bayern-Coach Jupp Heynckes den Weggefährten.
Müller-Wohlfahrts größte Fähigkeit ist, Verletzungen zu ertasten und das Ausmaß aufgrund seines Erfahrungsschatzes einschätzen zu können. «Ich tauche quasi in den Muskel ein», erklärte er einmal im «SZ»-Magazin: «Ja, ich sehe mit den Fingern – so erkläre ich es manchmal den Patienten. Das ist, als ob Sie ein Anatomiebuch aufschlagen – ich ’sehe‘ die Muskeln einzeln und übereinander, nebeneinander.» Seine Patienten wissen diese Gabe zu schätzen.
Fotocredits: Arne Dedert
(dpa)