Rios «Kloakenwasser» und versickerte Milliarden
Rio de Janeiro (dpa) – Mario Moscatelli glaubt, dass nur noch der Papst helfen kann. Er hat den Erzbischof von Rio de Janeiro gebeten, sich um das Einschalten von Franziskus zu kümmern. «Ich habe immer noch keine Antwort vom Papst», sagt der Biologe kokettierend.
Moscatelli ist der hartnäckigste Kritiker der Wasserverschmutzung in Rio. Er fährt mehrmals die Woche durch die Lagunen Rios, nimmt Proben. Hier im Stadtteil Barra ist vom Boot aus aus der Olympiapark mit den neuen Sportstätten zu sehen, er liegt direkt an dem Gewässer.
«Eigentlich ist jede Lagune gleich», sagt Moscatelli. Von überall her werden Fäkalien und anderes eingeleitet. Kläranlagen? Mangelware. Die Olympioniken werden vom widerlichen Gestank, von den Dingen, die so im Wasser schwimmen, nichts mitbekommen. Hier finden keine Wettkämpfe statt, aber für Moscatelli ist die Lage besonders dramatisch, weil hier daher auch gar nichts passiere. Die Rio-Organisatoren sagen, die Wasserqualität sei nun vor allem in der Guanabara-Bucht, wo gesegelt wird, nun in Ordnung. «Sie leben in einer anderen Realität als ich.»
In der Guanabara-Bucht ist eine Fahrt mit dem Boot oft ein Ausweichen vor allerlei Unrat, bis hin zu einem toten Hahn. Die Krallen nach oben, die Flügel ausgebreitet. In Sichtweite ist der Zuckerhut.
Wenn man nicht ins Wasser schaut: ein malerisches Ambiente. Nur: Die Fischer hier verlieren ihre Lebensgrundlage – immer wieder werden Tonnen an toten Fischen angespült. Bei einer Ausfahrt schimpfte der Fischer Romario: «Die Politiker sind nur interessiert an Bauten, die sichtbar sind, ein neues Stadion, eine neue Metro.» Dabei lautete beim Zuschlag 2009 das große Versprechen: Alles wird besser – bis zu 80 Prozent des Wassers in der Bucht werden behandelt und gesäubert.
Davon hat man sich längst verabschiedet – und setzt auf das, was Rio am besten kann: Improvisation. Ein Rohrsystem wurde installiert, um zumindest das Einlaufen von ungeklärtem, kontaminiertem Abwasser in die Marina da Gloria zu verhindern, dem Startort der Segler. Dann setzt man einfach auf etwas Glück mit dem Wetter: Weniger Regen und Strömung bedeutet weniger Anschwemmen von Abfällen. Ein Helikopter soll jeden Tag die aktuelle Strömung analysieren, damit die Besatzungen von zwölf «Öko-Booten» wissen, wo am meisten Müll aus dem Wasser geholt werden muss. Zudem gibt es nach Angaben eines Rio2016-Sprechers nun 17 schwimmende Barrieren, die Unrat abhalten.
Neulich wurde ein Teil der Bucht sogar zum Schwimmen freigegeben, das gab es schon lange nicht mehr. Vielleicht auch eine PR-Maßnahme. Immer wieder wurden gefährliche Superviren und schädliche Bakterien hier im Waser nachgewiesen, das können auch keine Barrieren und kein Öko-Boot abhalten. Olympia-Segler Ferdinand Gerz, 470er-Steuermann aus München, meint: «Wir nehmen probiotische Darmkeime, sind geimpft und werden regelmäßig die Süßwasserduschen auf den Trainerbooten zum Abspülen nutzen.» Und die 470er-Steuerfrau Annika Bochmann sagt mit Blick auf Olympia: «Wir benutzen Desinfektions-Gel, bevor wir essen.»
Seit 20 Jahren kennt Moscatelli jedes Gewässer der Millionenstadt – er sieht die Maßnahmen als kosmetisch und wenig nachhaltig an. «Sie haben uns einen Porsche versprochen und geben uns ein Dreirad für Kinder», wettert er. Das Mindeste, was Athleten tun müssten, sei eine Impfung gegen Hepatitis A. Wie die Bedingungen letztlich seien, hänge allein vom Wettergott ab. «Bei hohem Wasserstand und Sonne kann es gut aussehen, bei Wind und Regen wird es schwierig.»
Der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Dawid Bartelt, meint mit Blick auf die Guanabara-Bucht: «Es fließen 18 000 Liter ungeklärte Abwässer pro Sekunde hinein.» Japan und die USA stellten bereits vor einigen Jahren über eine Milliarde US-Dollar für Schutzmaßnahmen bereit, zum Beispiel für den Bau von Kläranlagen in der Bucht. «Aber mehrere der Anlagen wurden dann gar nicht an die Kanalisation angeschlossen. Sie hatten nichts zu klären und rotten vor sich hin», kritisiert Bartelt.
Moscatelli sagt, Finanzhilfen für Abwasser- und Klärsysteme seien versickert. In dunklen Kanälen. Wer am Flughafen ankommt und über eine Schnellstraße fährt, die auf Stelen durch eine Lagune führt, sollte das Fenster nicht öffnen. Das ist Rios Visitenkarte. Die Lagune Rodrigo de Freitas, wo im Schatten des Cristo bei Olympia gerudert wird, macht mindestens einmal im Jahr mit einem dramatischen Fischsterben Schlagzeilen. Aber auch hier sind jetzt Öko-Schiffe im Einsatz – laut Moscatelli ist die Situation hier noch am besten.
Zwar ist alles suboptimal – aber die Sportler werden hier antreten müssen. Die große Frage ist, was passiert, wenn sie wieder weg sind und wegen der Olympia-Kosten das Geld knapp sein wird? Vielleicht wird sich Mario Moscatelli dann nochmal an den Papst wenden müssen.
Fotocredits: Peter Bauza
(dpa)