Preetz will Tradition wahren und neue Prozesse anschieben

Berlin – 84 Bundesligatore schoss Michael Preetz für Hertha BSC – Vereinsrekord. Als Manager sieht der 49-Jährige seinen Jubiläums-Club vor einer großen Herausforderung.

Die lange Tradition kann helfen, aber auch hinderlich sein, auf die «derzeit dramatische Entwicklung» der Bundesliga zu reagieren, macht Preetz in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur zum 125. Hertha-Geburtstag deutlich.

Wann sind Sie das erste Mal mit Hertha BSC konfrontiert worden?

Michael Preetz: Es hatte schon in der Zeit von Günter Sebert ein, zwei Annäherungsversuche gegeben. Das war zu meiner Duisburger Zeit. Später hat es dann geklappt. Zu Berlin hatte ich immer eine positive Meinung.

Warum hat sich die Verbindung Michael Preetz und Hertha zu einer ganz besonderen entwickelt?

Preetz: Das hat mit den Erlebnissen zu tun. Du kannst ja nicht hier ankommen und nach zwei Wochen das erste Mal das Trikot küssen, was viele machen. Das funktioniert ja nicht. Das muss wachsen. Ich habe in den Clubs zuvor jeweils zwei Jahre gespielt, bei Hertha sieben – da ist etwas passiert. Es war meine erfolgreichste Zeit als Sportler, von der 2. Liga in die Champions League und die Nationalmannschaft. Wir waren dauerhaft internationaler Gast – das war eine tolle Zeit. Da ist ein Gefühl entstanden für den Club. Den Schritt in meine zweite Laufbahn dann auch hier zu gehen, war mir sehr wichtig.

Gab es ein herausragendes Ereignis, was Ihre Verbindung zu Hertha geprägt hat?

Preetz: Es war die Summe der Erlebnisse. Ich habe große Sympathie zu dieser Stadt. Ich war fasziniert und habe nach der Wiedervereinigung eine spannende Zeit erlebt. Das langsame Zusammenwachsen von Ost und West, die großen Baustellen wie am Potsdamer Platz. Und die Begegnungen mit den Menschen haben diese Beziehung wachsen lassen.

Heute ist der Rekordtorschütze der Manager und Rekordspieler Pal Dardai der Trainer. Hilft das dem Verein, 125 Jahre nach seiner Gründung, ein konkurrenzfähiger Erstligist zu bleiben?

Preetz: Im Rückblick wird es später ein Kapitel sein in der Historie des Vereins. Aber im Moment passt es. Für die Akzeptanz in Berlin und im Umfeld spielt es natürlich eine Rolle, ob man mal erfolgreich das blau-weiße Trikot getragen hat. Das trifft auf uns beide zu. Die Bundesliga, die wirtschaftlichen Voraussetzungen verändern sich derzeit dramatisch. Und wir sind mitten drin im Ringen um Stabilität. Die zwei Jahre mit Pal haben uns in jedem Fall sehr gut getan.

Was ist Tradition überhaupt noch wert im modernen Profifußball? Wo hilft sie und wo hindert sie?

Preetz: Wir sind ein traditionsreicher Verein. Das lässt sich schon daraus ableiten, dass wir 125 Jahre alt werden, dass wir einer der ältesten Fußballclubs in Deutschland sind. Dass der Verein eine bewegte Zeit hatte in einer hochspannenden Stadt, das macht es nochmal besonders. Es ist heute die Aufgabe von uns allen, die die Geschicke des Vereins lenken, dass wir das Traditionelle bewahren und das Neue angehen in einer Stadt, die wie keine zweite so für einen Veränderungsprozess steht.

Was steht dabei im Vordergrund?

Preetz: Wir sind uns der langen und bewegten Geschichte des Vereins bewusst. Dazu gehören auch dunkle Kapitel wie die Zeit des Dritten Reiches, glorreiche Kapitel wie der Gewinn der beiden Meisterschaften, schwierige Zeiten wie die 80-er Jahre. Es gibt heute viele Menschen in der Stadt, die Anteil an unserem Club nehmen. Es ist eine Verpflichtung, sorgsam mit dem Gut Tradition umzugehen. Allerdings sehen wir auch eine Verpflichtung, uns den heutigen Veränderungen zu stellen, neue Wege zu gehen, neue Prozesse anzuschieben. Wir wollen Menschen überzeugen, dass Veränderungen gut und wichtig sind. Das ist nicht immer einfach, weil Veränderung immer auch zunächst einmal unangenehm und ungewohnt sein kann.

Heute hat Berlin mehr als 3,5 Millionen Einwohner. Trotzdem bleibt das Stammpublikum bei rund 40 000. Was macht die Daueraufgabe in Berlin so schwer, mehr Menschen für Hertha zu begeistern?

Preetz: Das Gefühl für den Club ist nicht so ausgeprägt wie an anderen Standorten, wo sich teilweise die Stadt vor allem auch über den Club definiert. Das hat viel zu tun mit Vergangenheit und Erfolgen. Überall dort, wo es viele Erfolge gab, ist die Identifikation einfach größer. Es hat aber auch mit der Größe der Stadt zu tun, mit dem riesigen Angebot in Berlin. Für uns ist es die Herausforderung, das alles zusammenzuführen. Das ist uns noch nicht optimal gelungen.

Muss sich Hertha also abfinden mit den 40 000?

Preetz: 40 000 Fans als Hertha-Stammpublikum ist ja erstmal eine sehr ordentliche Zahl. Wir hatten zudem gerade in schwierigen Zeiten einen hohen Solidarisierungseffekt. Allerdings tun wir uns jetzt aber auch schwerer in Zeiten, in denen sich der sportliche Erfolg wieder eingestellt hat, mehr Menschen für den Verein zu begeistern. Jedes Jahr kommen rund 40 000 Menschen neu in die Stadt. Mit ihrem Heimatverein im Herzen. Aus ihnen Hertha-Fans zu machen, wird sicher schwierig, aber vor allem ihre Kinder müssen wir für Hertha begeistern. Das ist ein relativ langwieriger Prozess, eine wahnsinnig große Aufgabe, die einen langen Atem braucht.

Die Weddinger Brüder Fritz und Max Lindner sowie Otto und Willi Lorenz haben die Idee von Hertha 92 auf einer Parkbank auf dem Arkonaplatz auf den Weg gebracht. Eigentlich ist Hertha damit ein Ost-Verein. Warum hat sich der Verein nach der Wende mit der Vereinigung so schwer getan?

Preetz: Wir haben ein großes Einzugsgebiet und sind allein wegen der geografischen Lage ein Verein für Ost und West. Es war den Menschen jenseits der Mauer ja jahrelang nicht vergönnt, an Hertha BSC Anteil zu nehmen. Auch das war ein Prozess, die Menschen nach dem Fall der Mauer für Hertha zu begeistern. Das ist ein spannender Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist.

ZUR PERSON: Der gebürtige Düsseldorfer Michael Preetz (49) kam 1996 als Stürmer zu Hertha. Mit seinen 84 Bundesliga-Toren überflügelte er die Hertha-Legende Erich Beer. Als erster und einziger Herthaner holte er 1999 mit 23 Treffern die Bundesliga-Torjägerkanone. 2003 wechselte Preetz ins Management. Von 2009 an arbeitet er als Geschäftsführer Sport.

Fotocredits: Monika Skolimowska
(dpa)

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