Normalisierung des Flugverkehrs könnte Jahre dauern
Berlin – Der Flugverkehr wird aus Sicht der Luft- und Raumfahrtindustrie in Deutschland erst in zwei bis drei Jahren wieder das hohe Vorkrisen-Niveau erreichen.
«Wir rechnen für Ende 2022 oder Anfang 2023 mit einem Niveau des Flugaufkommens, wie wir es 2019 hatten», sagte der Präsident des Branchenverbands BDLI, Dirk Hoke. Damals seien rund 227 Millionen Passagiere mit dem Flugzeug befördert worden. Es sei zu früh, um abzusehen, wann Verbraucher auf diese Weise wieder über Ländergrenzen hinweg reisen könnten.
Derzeit stecke die Branche aufgrund des neuartigen Coronavirus in der größten Krise ihrer Geschichte. Die meisten Fluggesellschaften flögen derzeit nur mit einem Bruchteil ihrer Flotte oder ließen diese vollständig am Boden. «Wir sehen, dass das Ende des Einbruchs immer noch nicht absehbar ist», sagte Hoke.
Mehr als 60 Prozent weniger Passagiere
Lediglich rund 7 Millionen Passagiere verzeichneten die Flughäfen in Deutschland im März. Das waren allein in diesem Monat mehr als 60 Prozent weniger als im selben Zeitraum des Vorjahres, wie aus Daten des Flughafenverbands ADV hervorgeht. Zahlen für April liegen noch nicht vor.
Trotz der schlechten Aussichten beginnt die Branche damit, sich auf eine wieder zunehmende Mobilität von Wirtschaft und Verbrauchern einzustellen. «Mit den Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen kommt eine neue Herausforderung auf den Personenverkehr zu», heißt es in einem gemeinsamen Papier von Unternehmen und Branchenverbänden der Luftfahrt sowie des Straßen- und Schienenpersonenverkehrs. Darin empfehlen sie den Ländern konkrete Sicherheitsvorgaben für Busse, Züge und Flugzeuge.
Einhaltung von Abstandsregeln gefordert
Für Flugreisen fordert darin unter anderem der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft die Einhaltung von Abstandsregeln beim Check-in und beim Boarding sowie erweiterte Hygienemaßnahmen.
Der BDLI schloss sich den Vorschlägen an. «Hier wurden gute, ganzheitliche Ansätze für Dienstleister, Fluggäste und Behörden deklariert, um sicherstellen, dass Fliegen auch in Zukunft sicher ist», sagte Präsident Hoke.
Die Hersteller- und Zulieferbranche im Luftverkehr forderte zudem weitere Unterstützung vom Staat. «Wir gehen davon aus, dass etwa gebrauchte Flugzeuge künftig sehr billig sein werden», sagte Hoke. Das liege unter anderem am derzeit extrem niedrigen Ölpreis. Der BDLI-Präsident schlug daher staatliche Anreize für Fluggesellschaften vor, nach der Krise alte Maschinen auszumustern und neue anzuschaffen. «Wir dürfen ökologisch effizientes Fliegen in der Krise nicht aus den Augen verlieren.»
Niedrigere Ticketpreise erwartet
Wenn der Flugbetrieb nach den einschneidenden Corona-Maßnahmen wieder in größerem Rahmen anläuft, dürften die Tickets nach Einschätzung des Dachverbands der Fluggesellschaften (IATA) zunächst günstig sein. Die Fluggesellschaften müssten die Nachfrage mit Angeboten stimulieren, sagte IATA-Chefökonom Brian Pearce. Zudem sei die Kapazität anfangs sicher höher als die Nachfrage, und die Ölpreise seien niedrig. Die Buchungen hätten zwar angezogen, aber lägen noch deutlich unter den Werten vor der Corona-Krise. Vor dem nächsten Jahr rechnete Pearce nicht mit anziehenden Preisen.
Problematisch werde es, wenn die Behörden im Kampf gegen eine weitere Ausbreitung des Virus Abstand zwischen Passagieren verlangten und in der Economy-Klasse die Mittelsitze frei bleiben müssen. Wenn nur rund 60 Prozent der Sitze verkauft werden können, müssten Ticketpreise eigentlich um 43 bis 54 Prozent steigen, um den Ausfall wettzumachen, sagte Pearce. Bei einer Auslastung von nur gut 60 Prozent hätten nach einer IATA-Analyse nur 4 von 120 Airlines wenigstens ihre Kosten gedeckt.
Es gebe keine Hinweise, dass das Freilassen von Mittelsitzen die Ansteckungsgefahr zusätzlich verringere, sagte IATA-Chef Alexandre de Juniac. Der Verband ist gegen solche Vorgaben. Vielmehr arbeiteten die Fluggesellschaften an Konzepten mit Fiebermessen, Masken und rigorosen Hygienemaßnahmen. Untersuchungen legen nach IATA-Angaben nahe, dass an Bord kaum ein Ansteckungsrisiko bestehe.
Auch im Premiumbereich der ersten und der Business-Klasse, die einen Großteil der Umsätze generieren, rechnet der Verband mit Einbrüchen. Zum einen dürften Unternehmen in der erwarteten Rezession ihre Reiseausgaben senken, zum anderen hätten sich viele an die jetzt üblichen virtuellen Konferenzen gewöhnt.
Fotocredits: Julian Stratenschulte
(dpa)