«Neuer Frühling» für den Schmutzfink? Zoff um den Diesel
Berlin – Vom Welterfolg und Paradebeispiel deutscher Ingenieurskunst zum Fortschrittsbremser und ewigen Schmuddelkind? Der Diesel hat es nicht leicht heutzutage.
Die Motortechnik – vor fast 125 Jahren (1892) von ihrem Erfinder Rudolf Diesel in Berlin zum Patent angemeldet – ist durch den millionenfachen Abgasbetrug bei VW in Verruf geraten. Als wären die gefälschten Werte zum Stickoxid-Ausstoß bei Modellen des Autokonzerns nicht schon genug, entbrannte in ganz Europa auch noch eine Debatte darüber, ob man den Selbstzünder nicht aus städtischen Umweltzonen verbannen sollte.
Nie zuvor gab es solch eine Aufregung um die lange als «Traktor» mit nagelndem Lärm verspottete Technik. Dabei ist der Diesel eine Antriebsart, die mehr als ein Jahrhundert nach ihrer Geburt zumindest übergangsweise durchaus eine Zukunft haben dürfte. Das Image mag angeknackst, aber besonders moderne Varianten der «rationellen Wärmekraftmaschine» können ökologisch auch im Vorteil sein.
Der Präsident des Autoverbands VDA, Matthias Wissmann, glaubt, dass neue Technologien mit synthetischem Öko-Sprit «einen neuen Frühling» in den klassischen Motoren erleben können. «Wir werden auch 2030 noch hocheffiziente Verbrenner brauchen», sagte er im November.
Verglichen mit Ottomotoren ähnlicher Leistung kamen ältere Diesel bis zur Euro-5-Abgasnorm meist nicht um ein Dilemma herum: Die Senkung des Verbrauchs – und damit auch des Klimagases CO2 – gelang in der Regel besser als bei Benzinern, weil Dieselmotoren aufgrund der Selbstentzündung des Kraftstoffgemischs im Zylinder effizienter arbeiten. Dafür stoßen sie im Schnitt aber größere Mengen Stickoxide (NOx) aus, die bei hoher Konzentration als Atemgifte wirken können.
Auf Superbenzin ausgelegte Motoren konnten demgegenüber mit einer besseren NOx-Bilanz punkten, pusteten jedoch mehr CO2 in die Luft. In den vergangenen Jahren hat sich die Technik allerdings stark weiterentwickelt. Während Benziner durch kleinere Hubräume bei gleichzeitiger Leistungssteigerung («downsizing») oft deutlich sparsamer und CO2-ärmer als herkömmliche Spritschleudern wurden, hievten Ingenieure den Diesel in erträglichere NOx-Bereiche.
Eine wichtige Rolle spielte dabei die zunehmende Verbreitung der «Adblue»-Technik. Die Einspritzung von Harnstoff in den Abgasstrom führt dazu, dass der Katalysator besser läuft und mehr Stickoxide zu harmlosen Stoffen reagieren, bevor die Rückstände den Auspuff verlassen. Autoexperte Willi Diez sieht hier aber primär große Wagen vorn: «Bei kompakten Fahrzeugen ist der Diesel auf dem Rückzug.»
Dennoch muss der Diesel mit großer Skepsis kämpfen – angesichts des in den USA ausgebrochenen Abgas-Skandals zum Teil durchaus zu Recht. In den Vereinigten Staaten sind Behörden und Gesundheitspolitik traditionell besonders sensibel, wenn es um NOx oder Feinstaub geht. Die Regulierung in etlichen Bundesstaaten ist hierbei sehr strikt.
In der EU hingegen sind vor allem strenge CO2-Regeln ein zentraler Pfeiler der Umweltpolitik. Nach dem Jahr 2020 dürfen die Flotten der Autohersteller in Europa nur noch durchschnittlich 95 Gramm des Treibhausgases pro gefahrenen Kilometer in die Atmosphäre blasen. Die Verschärfungen kritisierten Industrielobbys immer und immer wieder.
Für die deutschen Autobauer sind Dieselfahrzeuge relativ betrachtet bisher ungleich bedeutender als für die Konkurrenz in Übersee. Bei BMW etwa entfielen im vergangenen Jahr fast drei Viertel der in der Bundesrepublik verkauften Wagen auf die Diesel-Sparte.
Auch Daimler und Volkswagen sind noch stark vom Selbstzünder abhängig. Von den insgesamt 45,1 Millionen Personenwagen, die Anfang 2016 hierzulande zugelassen waren, waren laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) 32,2 Prozent Diesel- und 66,2 Prozent Benzinerautos.
Mit ihrer Forderung einer «blauen Plakette» für Wagen mit geringem NOx-Ausstoß konnte sich Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) bislang nicht durchsetzen. Dabei läuft gegen Deutschland seit 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren der EU, weil vielerorts Grenzwerte nicht eingehalten werden. Seit dem Dezember muss die Bundesregierung sich außerdem wegen zu laxen Vorgehens gegen Abgas-Tricksereien der Autokonzerne gegenüber der Kommission in Brüssel rechtfertigen.
Der Ausbau der Elektromobilität und von weiteren Alternativen wie Brennstoffzelle oder Erdgasmotor – so schleppend er derzeit auch noch läuft – wird die Marktanteile mittelfristig sicher verschieben, schätzt der scheidende Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber: «Wir planen jetzt den Großangriff.» Auf dem Weg dorthin werde man jedoch kaum auf den Diesel in seiner modernen Form verzichten können.
Ein Faktor sind neben dem häufig hohen Anschaffungspreis eines neuen Diesels aber auch unterschiedliche Betriebskosten. Solange die Kfz-Steuer für Dieselautos über der für Benziner liegt, ist der Umstieg auf neue Modelle nur bedingt attraktiv. Andererseits wird Diesel heute noch deutlich geringer besteuert als Benzin.
Hinzu kommt, dass der Antrieb aus anderen Branchen nicht wegzudenken ist. Beispiel Schifffahrt: Auf den Weltmeeren fahren Containerriesen mit teils haushohen Diesel-Aggregaten. Der Ausstoß von Schadstoffen hat auch hier Umweltschützer auf den Plan gerufen – ein Punkt, der laut dem Nabu lange unterschätzt wurde: «Die Seeschifffahrt hat ein massives Abgasproblem.» Die Branche will daher weg von Schweröl und altem Diesel – und schrittweise sauberere Motoren einsetzen. Der Lkw-Verkehr dürfte ebenfalls mittelfristig auf Diesel angewiesen bleiben, Hybrid- oder E-Laster erreichen keine größeren Stückzahlen.
Ausgedient hat der moderne Diesel also noch nicht. Peter Mock – Europa-Chef der Umweltorganisation ICCT, die den VW-Skandal mit aufdeckte – betont: «Ihn sauber zu bekommen, ist absolut möglich.» Aber die Erben von Rudolf Diesel müssten sich ranhalten, mahnt der Ex-Mitarbeiter der Daimler-Umweltabteilung. «Die Reise geht immer mehr in Richtung Elektrifizierung. Das wird immer günstiger werden.»
Fotocredits: Markus Scholz
(dpa)