Neue Diskretion bei Chanel in Paris
Paris – Die Mode geht voraus. Zumindest in den Augen von Kulturkritikern dient sie als Seismograph gesellschaftlicher Entwicklungen. Wenn das stimmt, dann müsste nach all dem Trump-Getöse, nach Twitter-Krieg und «Alternative Facts» bald allerortens Ruhe und Diskretion einkehren.
Denn ausgerechnet die Königsdisziplin der Mode, die kunstvolle Haute Couture, gibt sich in Paris gerade besonders leise, konzentriert und diskret.
Das fängt damit an, dass einige Couture-Häuser wie Versace oder Stephane Rolland in dieser Saison ganz auf eine Laufsteg-Schau verzichten und stattdessen ihre Entwürfe bei individuellen Terminen im Showroom präsentieren. Es geht weiter damit, dass die Designer bei ihren Entwürfen selbst mehr auf exzellentes Handwerk und sanfte Eleganz setzen denn auf lauten Glamour.
Karl Lagerfeld verzichtete in seiner Schau für Chanel im Grand Palais auf das sonst hier oft übliche spektakuläre Ambiente – mithin keine Supermarkt- oder Flughafenkulisse wie bei ihm schon gesehen. Stattdessen erinnerte die Dekoration mit einem Rundbau in der Mitte aus facettiertem Spiegelglas und cremefarbenen Sofas an frühere kleine Salonschauen und an die historischen Räume von Coco Chanel (1883-1971) in der Rue Cambon mit der berühmten Spiegeltreppe.
Die Entwürfe waren tadellos geschnitten – im Stil der späten 1950er und frühen 1960er-Jahre. Zweireihige Tweedkostüme mit edlen Silberknöpfen, schön geschwungenem Kragen und wadenlangen Falten- oder Bleistiftröcken kombinierte der Designer zu kleinen Hüten, wie sie Chanel einst selbst trug. Die Silberpailletten hocheleganter schmaler Abendkleider wirkten millimetergenau gesetzt, die Federn der Röcke mit höchster Präzision gestickt. Silberfarbene Pumps, durchsichtiger Nagellack und die glatt nach hinten gestylten Haare der Models trugen zu dem formvollendeten Auftritt bei. Es gab keinen Chichi, sondern Haute Couture vom Feinsten – gekonnt und unaufgeregt.
Selbst Maria Grazia Chiuri, die neue Chef-Designerin von Dior, übte sich in ihrer ersten Couture-Schau in Zurückhaltung. Im vergangenen Oktober hatte sie in ihrem Dior-Debüt beim Prêt-à-Porter eine fast martialische Frauen-Power-Kollektion präsentiert. Nun setzte sie auf Tradition und eine fast mädchenhafte Weiblichkeit. Statt «Women’s March» gab es einen Sommernachtstraum.
Schwarze Kostüme mit lang schwingenden Röcken, ein hochgeschlossenes cremefarbenes Prinzessinnenkleid mit geschoppten Ärmeln, weiße Plisseeblusen und sanfte Grün- und Grautöne für zarte Abendroben erschienen fast märchenhaft hübsch. Aber eben nicht revolutionär. Das hatte Chiuri ja schon letzte Saison gebracht. Die Mode geht eben voraus.
Die Niederländerin Iris van Herpen hat dieses Diktum fest in die DNA ihres Hauses eingeschrieben. Sie liebt das modische Experiment und widmete sich «fehlerhaften» Strukturen – den Effekten unterbrochener Muster zum Beispiel. Auf einigen Kleider waren Skelettumrisse zu sehen, die die Körperform geschickt verzerrten. Ein anderes Kleid wirkte wie eine Schneeflocke, die statt aus festen Kristallen aus flüssigen Tropfen bestand. Mode erschien hier als sofort durchschauende optische Täuschung – als «Alternative Picture», das sich nicht wirklich als Fakt tarnt.
Fotocredits: Francois Mori,Francois Mori,Francois Mori,Francois Mori
(dpa)