Neid: «Hallo! Genieß‘ es! Das ist dein letztes Turnier»
Rio de Janeiro – Silvia Neid bekommt den ganz großen Abschied: Im Finale der Olympischen Spiele im legendären Maracanã-Stadion am Freitag gegen Schweden (22.30 Uhr).
Vor ihrem letzten Spiel als Bundestrainerin spricht die 52-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur über den Stellenwert der Partie und die Bilanz ihrer elf Jahre als Chefin.
Sie waren als Trainerin in EM- und WM-Finals. Welchen Stellenwert hat dieses Olympia-Endspiel in ihrer Karriere?
Silvia Neid: Einen riesen Stellenwert. Gerade jetzt. Im Maracana-Stadion, wo vor zwei Jahren unsere Männer Weltmeister geworden sind. Für jeden Trainer ist es ein Traum, einmal in diesem Stadion zu stehen. Bei der Auslosung war ich schon mal auf der Tribüne. Das ist der Wahnsinn, das mein letztes Spiel mit der Frauen-Nationalmannschaft in diesem Stadion stattfindet, sprich im Finale. Das ist schon toll. Das kann ich noch gar nicht richtig glauben alles. Aber ich bin überglücklich, seit wir es geschafft haben.
Wie haben Sie die Zeit in Brasilien wahrgenommen?
Neid: Sehr anstrengend, aber auch sehr schön. Es wird hier alles getan für uns, für die Olympioniken. Wir hatten ständig Polizeischutz und man merkt, dass alle sehr aufmerksam sind. Ich habe mich hier immer sehr sicher gefühlt. Es ist anstrengend, weil wir spielen, reisen, einen Tag haben, um uns auf den Gegner vorzubereiten, und dann wieder spielen. Und das über Wochen. Aber insgesamt hängt die Verfassung, die ich jetzt habe, vom Turnierverlauf ab. Es lief nicht rund am Anfang, aber wir haben uns reingebissen und Moral bewiesen. Das fand ich klasse.
Und aus dem Blickwinkel: Das ist das letzte Turnier?
Neid: Ich wollte jeden Tag genießen. Wenn du im Alltag steckst, das Training vor- und nachbereitest, die Spiele, dann verschwimmt das schon mal und man muss sich dann wachrütteln und sagen: Hallo! Genieß‘ es! Das ist dein letztes Turnier. In ein paar Wochen ist alles vorbei. Das versuche ich schon ganz bewusst, dass ich das genieße. Denn ab Freitagabend ist alles rum. Aber ich verspüre auch keine Wehmut, sondern pure Freude, weil wir im Finale sind. Ich freue mich auch auf das, was kommt. Ich wollte einfach was anderes machen. Es wird bestimmt emotional, aber in welcher Form weiß ich nicht.
Wie weit reichen denn ihre Pläne für die Zeit nach Brasilien?
Neid: Ich bin beim DFB angestellt und werde für die neue Abteilung Frauen und Juniorinnen zuständig sein. Es wird um Trends gehen, um Entwicklungen im internationalen Frauenfußball. Das ist total interessant und das hat, glaube ich, kein Verband auf der Welt. Oft kommen Trends ja vom Männer-Fußball.
Ist das vergleichbar mit dem, was Urs Siegenthaler bei den Männern macht?
Neid: Ja, das kann man so vergleichen. Das baue ich auf und gebe die Informationen an meine Nachfolgerin Steffi Jones weiter. Die kann dann damit arbeiten.
Vor dieser Aufgabe wartet das Finale. Gegen Schweden. Mit Pia Sundhage steht eine langjährige Gegnerin auf der anderen Seite. Können sie sich gegenseitig noch überraschen?
Neid: Sie hat uns etwas überrascht, weil Schweden tiefer agiert und kompakt ist. Bei der WM hat sich das aber schon angedeutet, wobei sie es da nicht so konsequent gemacht haben wie hier bei Olympia. Das ist hier jetzt klar ihr System und es ist schwer, dagegen zu spielen. Sie verschieben und verschieben und verschieben, da sind Fehlpässe irgendwann programmiert. Und vorne haben sie eben schnelle Spielerinnen, wenn sie dann sofort tief spielen ist es gefährlich. Da müssen wir noch mal richtig kreativ sein, um dieses Bollwerk auseinander zu nehmen. Und frisch sein im Kopf.
Der Wille und der Anspruch ist, das Finale zu gewinnen. Sagen Sie denn auch: Wir werden das Finale gewinnen? Oder wie stehen die Chancen?
Neid: Jeder ist seinen Weg gegangen. Mal besser, mal schlechter, mal sehr gut. Wenn man dann im Finale steht, glaube ich, dass es immer ein 50:50-Spiel ist. Ich hätte nicht gedacht, dass Schweden gegen die USA oder Brasilien gewinnt. Die haben sich das verdient und Selbstvertrauen getankt. Aber das haben wir auch.
Das Finale bei Olympia ist schon historisch und eine Premiere für den deutschen Frauenfußball. Was würde es Ihnen bedeuten, wenn es am Ende tatsächlich Gold wird?
Neid: Ein Traum. Ein Traum, an den man sich vor einem Jahr noch nicht mal getraut hat zu denken. Das ist gewachsen. Auch unsere Ansage, wir wollen Gold gewinnen. Wir haben gesehen, dass wir eine Mannschaft haben, die es schaffen kann. Klar muss alles rund laufen in einem Turnier, du musst von Sperren und Verletzungen verschont bleiben. Und ein bisschen Glück brauchst du auch.
Haben Sie schon eine Bilanz gezogen für Ihre Amtszeit, oder geht das erst nach dem Finale?
Neid: Nein, die gibt es schon. Ich glaube ich gehöre zu den Bundestrainerinnen, die sehr viel erreicht haben, sehr viele Titel geholt haben. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich das alles erleben durfte. Ich vergleiche das auch mit Pia Sundhage oder Hope Paul, der ehemaligen englischen Nationaltrainerin, auch mit Carolina Morace, die bis 2011 Kanada trainiert hat – die durften nie diesen Erfolg erleben wie ich es durfte. Dass meine Karriere so verlaufen ist, dafür bin ich total dankbar.
ZUR PERSON: Silvia Neid ist seit 2005 Bundestrainerin der DFB-Frauen. Zuvor war sie bereits Nationalspielerin und von 1996 bis 2005 Co-Trainerin von Tina Theune-Meyer. Neid holte als Trainerin zwei WM- und fünf EM-Titel, dazu dreimal Bronze bei Olympia.
Athleten deutsche Olympiamannschaft
Fotocredits: Cristiane Mattos
(dpa)