#MommaOnAMission: Mütter bei Olympia und ihre Sehnsucht
Rio de Janeiro – Han Ying schaute etwas bestürzt, als sie von ihrer vierjährigen Tochter Leonie erzählte. «Ich habe geträumt, dass sie so groß geworden ist, dass ich sie fast nicht mehr erkannt habe. Plötzlich 1,60 Meter!», sagte die deutsche Spitzenspielerin im Tischtennis.
«Ich wollte sie umarmen, und dachte, sie ist ja gar kein Kind mehr.» Für die 33-Jährige ist es schwer, Leonie nicht um sich zu haben. Aber sie ist mit diesen Gefühlen nicht allein bei den Olympischen Spielen: In Rio de Janeiro kämpfen einige Mütter um Medaillen.
Die Leistungssportlerinnen teilen das Los mit berufstätigen Müttern (und natürlich auch Vätern) in der ganzen Welt: Wie die Kinderbetreuung organisieren? «Ich hab‘ die volle Unterstützung zuhause von meiner Familie. Leonie ist bei den Eltern meines Mannes», sagte Ying. Manche haben ihren Sprössling sogar mitgebracht: Radfahrerin Kristin Armstrong feierte ihr Gold im Straßenrennen mit Söhnchen Lucas (5) im Arm.
Die Amerikaner haben insgesamt zehn Mütter im Team, darunter Hochspringerin Chaunte Lowe, dreifache Mutter, und Weitsprung-Olympiasiegerin Brittney Reese, die Anfang des Jahres ihren Alex (8) adoptiert hat. Schwimmerin Dana Vollmer gebar im April 2015 Arlen und hat seitdem ihren Twitter-Hashtag: #MommaOnAMission. Eine Bronzemedaille über 100 Meter Schmetterling bringt die 28 Jahre alte Olympiasiegerin von 2012 jedenfalls mit nach Hause.
Auf dem Schoß ihres Vaters verfolgte Sophie Altenburg den 2:1-Sieg der deutschen Hockey-Damen im zweiten Gruppenspiel gegen Neuseeland. Die Dreijährige ist die gemeinsame Tochter von Herren-Bundestrainer Valentin Altenburg und Stürmerin Lisa Altenburg. Als Mama Lisa nach Abpfiff in der Mixed Zone Rede und Antwort stand, kam plötzlich die Kleine angesaust. Lisa nahm das Mädchen auf den Arm, flüsterte ein «Gleich habe ich Zeit!» – und setzte anschließend gelassen die Interviews fort.
Schützin Nino Salukwadse aus Georgien tritt sogar mit ihrem Filius in Rio an: Die 47-jährige Psychologin, 1988 in Seoul Goldmedaillengewinnerin mit der Sportpistole und zum achten Mal bei Sommerspielen, bildet mit Tsotne Machawariani das erste Mutter-Sohn-Gespann der Olympiageschichte. «Mein Sohn gibt mir zusätzliche Motivation», sagt Salukwadse über den 18-Jährigen, der mit Luftpistole und Freier Pistole an den Start geht.
«Das war der Traum meines Vaters», sagt sie. «Eigentlich sollte er erst Tokio 2020 in Erfüllung gehen. Aber Tsotne hat sehr hart gearbeitet.» Der Sohnemann meint: «Wir können unsere Gefühle teilen, ich genieße das alles sehr.» Salukwadse rechnet damit, dass es ihre letzten Spiele sind, weil sie Probleme mit den Augen hat. «Nein», widerspricht Machawariani. «Das sind nicht deine letzten.»
Dressurreiterin Mary Hanna ist mit 61 Jahren nicht nur die älteste Teilnehmerin in der olympische Geschichte ihres Heimatlandes Australien. Sie ist schon Großmutter, hat zwei Kinder und drei Enkel. Die vermissen sie jetzt auch als Babysitterin. «Ich würde mir zu viele Sorgen machen, würde die ganze Familie mit nach Rio kommen. Ich könnte mich dann nicht voll auf den Sport konzentrieren», sagte sie in einem Interview der Tageszeitung «Die Welt».
Die deutschen Schützinnen haben gleich vier Starterinnen mit Mama-Verpflichtungen. Die viermalige Skeet-Weltmeisterin Christine Wenzel machte diese Erfahrung bereits in London. Daheim hatten sich wie auch jetzt die Großeltern um ihren Sohn Tobias gekümmert.
Auch Monika Karsch hat ihre Kinder Lina (3) und Bruno (5) zu Hause. «Ein Gedanke ist immer in der Heimat», sagte sie. Was sie in Rio zumindest nicht daran gehindert hat, mit der Sportpistole die Silbermedaille zu holen.
Fotocredits: Friso Gentsch
(dpa)