Merkwürdigste IAA: «Zeit der Reifenkicker ist vorbei»
Frankfurt/Main – Zur IAA-Eröffnung wird wieder die Kanzlerin erwartet – in schweren Zeiten kann die deutsche Autoindustrie Zuspruch gut gebrauchen. Doch auch Angela Merkel dürfte nicht mit Kritik sparen. Denn sie muss zehn Tage vor der Bundestagswahl den Anschein enger Kumpanei vermeiden.
Dieselkrise und Kartellverdacht – die diesjährige
IAA (14.-24. September) kommt für die Industrie eigentlich zur Unzeit. Auf Pressekonferenzen und im Einzelgespräch werden die Hersteller ihre teils fragwürdige Abgasstrategie erläutern müssen und die nunmehr verabredete Nachrüstung von 5,3 Millionen Autos via Update verteidigen.
Es geht um nicht weniger als um die Zukunft des Verbrennungsmotors mit seiner speziell deutschen Dieselvariante. Gleichzeitig müssen die Autoriesen ihre Kompetenz für alternative Antriebe belegen.
Ob zur Ausstellung erneut 932 000 Besucher wie im Jahr 2015 strömen werden, scheint einen Monat vor Messebeginn zumindest fraglich. Die Erwartungen der Frankfurter Hotels sind nach Einschätzung der Berliner Gastro-Beratungsgesellschaft Fairmas gedämpft.
Im Vergleich zum IAA-freien Vorjahr erwarten die Häuser zwar eine Zunahme der Belegung um knapp 7 Prozent, das ist aber nur rund die Hälfte der Steigerung von 2015. Vor allem an den Publikumstagen schwächeln die Buchungen noch. Zudem gebe es zu den beiden der IAA vorangehenden, üblicherweise vollgebuchten Medientagen noch zahlreiche freie Hotelzimmer, berichtet ein Hotelier skeptisch.
Die
Messehallen sind bei der 67. IAA-Ausgabe jedenfalls deutlich luftiger belegt als noch bei der vorangegangenen Schau vor zwei Jahren. Die Liste renommierter Marken, die sich von der Frankfurter Supershow offenbar keine ausreichenden Impulse erwarten, ist lang: Es fehlen neben General Motors die Hersteller Fiat und Peugeot ebenso wie Nissan, Aston Martin oder erneut Volvo. Auch der Elektro-Pionier Tesla hat abgesagt, weil er die bestehende Nachfrage nach seinen Modellen gar nicht weiter anheizen muss.
«Früher ist jeder Interessent ins Autohaus gekommen oder zu einer Messe gegangen. Das muss er im Internet-Zeitalter längst nicht mehr», beschreibt Branchen-Experte Stefan Bratzel die Ausgangslage. Vor allem kleinere Hersteller überprüften ihren Marketing-Etat sehr genau, ob er nicht für etwas Sinnvolleres als teure Messen verwendet werden sollte.
«Das wichtigste Auto des Jahres ist auf der IAA nicht zu sehen», kritisiert Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer mit Blick auf das Elektroauto Tesla 3, das dem US-Newcomer geradezu aus den Händen gerissen wird. Es wurde im Internet präsentiert und vertrieben – zeitgemäß, wie der Chef des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen meint. Die klassischen Messen – und nicht nur die IAA – kämen hingegen überholt und altmodisch daher. So kommt in Leipzig die Ost-Automesse AMI nicht mehr auf die Beine. «Die Zeit der Reifenkicker ist vorbei», sagt Dudenhöffer über die Angewohnheit mancher Messebesucher, die ausgestellten Wagen mit einem Tritt gegen die Reifen zu «testen».
Der Veranstalter VDA reagiert betont gelassen auf die Absagen der Hersteller, weil man auf ihre Rückkehr bei der nächsten IAA hofft. Schon früher hätten einzelne Aussteller aus Unternehmensgründen eine Beteiligung überprüft und sich danach wieder für die IAA entschieden, sagt Sprecher Eckehart Rotter. Er verweist auf die jungen chinesischen Firmen WEY und Chery, die sich die Frankfurter Weltleitmesse gezielt für ihren Auftritt ausgesucht hätten.
Bei den automobilen Neuheiten herrscht vor allem «business as usual», PS-Freaks werden genug zum Bewundern bekommen. Neue schwere Geländewagen hat fast jeder Hersteller im Programm, schließlich ist das immer noch der am schnellsten wachsende Sektor. Mit den SUV machen die Hersteller das meiste Geld: Der größte Anteil dieser Autos fährt mit einem durchzugsstarken Dieselantrieb – ein Hauptgrund, warum die Branche so vehement für die Zukunft des Selbstzünders kämpft und nun wohl auch endlich ausreichend dimensionierte Abgasreinigungen einbaut.
Auch das Oberklasse- und Luxus-Segment wird reichlich bedacht unter anderem mit dem neuen Audi A8, dem Rolls-Royce Phantom, Bentley Continental oder der dritten Auflage des Porsche Cayenne. Mercedes-Benz plant angeblich die Präsentation eines 3 Millionen Euro teuren Super-Sportwagens. Dass nebenbei auch etliche Elektro-Neuheiten gezeigt werden, könnte bei aller PS-Protzerei leicht untergehen.
Natürlich funktioniert die IAA immer noch als Branchentreff mit allen wichtigen Zulieferern und als Forum für dringend benötigte Zukunftspläne. Von vernetzten und autonomen Fahrzeugen und interdisziplinären Verkehrskonzepten ist allenthalben die Rede – mit der viertägigen Teilausstellung «New Mobility World» (14.-17.September) hat der VDA dazu erneut eine eigene Plattform aufgebaut. Auf diese tritt unter anderem die Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg, deren Unternehmen zwar keine Autos baut, dafür aber viel über künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und virtuelle Realität weiß.
Dazu kommen Tech-Unternehmen wie Kaspersky Lab, BlaBlaCar, IBM, Siemens, Telekom, SAP oder die Daimler-Töchter Moovel, MyTaxi und Car2Go. Auf einer großen Freifläche stehen zudem allerlei Elektro-Mobile zum Ausprobieren zur Verfügung. Sie ist frei geworden, weil Audi seinen Messeauftritt verkleinert und sich in die Halle 3 der Mutter VW zurückgezogen hat.
Fotocredits: Frank Rumpenhorst
(dpa)