Meier muss «zum Tanztee»: Darmstadt fightet und feiert
Darmstadt – Norbert Meier wollte das Remis und seinen 58. Geburtstag in dieser Nacht nicht mehr groß feiern.
«Nein, ich muss ja früh ins Bett. Ich muss doch morgen um 14 Uhr zum Tanztee», sagte der älteste Bundesliga-Trainer grinsend, bevor er kurz nach 23.00 Uhr das Stadion des SV Darmstadt 98 verließ. Eine gute Stunde zuvor hatte Meier lauthals in die nächstbeste Fernsehkamera gejubelt. Der Ausgleich in der Nachspielzeit zum 1:1 (0:0) gegen 1899 Hoffenheim hatte wieder mal bei allen dieses «Lilien»-Gefühl geweckt: Der krasse Außenseiter wird sich auch im zweiten Jahr mit aller Macht und bis zur letzten Minute gegen den Abstieg wehren.
Längst wissen die Liga-Konkurrenten, was sie am Böllenfalltor erwartet, aber immer noch gehen sie dort regelmäßig in die Knie. In dieser Saison bereits Eintracht Frankfurt im Hessen-Derby (0:1), jetzt die favorisierten Hoffenheimer. Die mussten in der Nachspielzeit (90.+2 Minute) noch den Ausgleich durch den ukrainischen Joker Denys Oliinyk hinnehmen. Die Gäste waren zwar durch Andrej Kramaric (46.) in Führung gegangen, hatten aber der unglaublichen Willensleistung der 98er mit zunehmender Spieldauer nichts entgegenzusetzen.
«Das gibt uns einen Riesenschub. Wir haben auch gesehen, wie wir die Fans mitgerissen haben, wie wir gemeinsam Kraft und Energie aufgebaut haben», sagte Antonio Colak, Darmstadts Leihgabe aus Hoffenheim. «Die Atmosphäre war unglaublich. Wir spielen 1:1 und die Fans feiern das wie einen Sieg. Das ist Darmstadt!»
Meier hatte nach dem Ausfall von fünf Stammspielern gleich acht Neuzugänge aufgestellt. Große Namen waren nicht darunter. «Wir sollen ja die Neuen integrieren, deshalb sollte ein Neuer das Tor machen», scherzte Florian Jungwirth nach dem Abpfiff. Der Mittelfeldspieler betonte selbstbewusst: «Ich glaube, das sah nach Fußball heute aus. Wenn wir uns so belohnen, ist das natürlich megageil. Wir haben immer gewusst, dass wir kicken können. Da geht noch mehr.»
Eine Halbzeit lang hatten sich die «Lilien» allerdings als Maurermeister betätigt und weitgehend mit zwei Viererketten vor dem eigenen Tor verschanzt. Irgendwie verständlich angesichts der Ausfälle und nach dem 0:6 drei Tage zuvor in Dortmund. «Dortmund? Das war eine andere Sportart», meinte Jungwirth lässig. Meier hatte das 1:5 des VfL Wolfsburg am Dienstagabend gegen die Borussia wohlwollend zur Kenntnis genommen. «Es ist jetzt nicht von der Hand zu weisen, dass die anderen auch mal den Arsch vollkriegen.»
Ziemlich genau mit diesem Gefühl saß sein Hoffenheimer Kollege Julian Nagelsmann bei der Pressekonferenz. Während bei anderen Clubs diese auf Podien stattfinden, an denen locker die halbe Gilde der 18 Erstliga-Trainer Audienz halten könnte, müssen sich die Trainer in Darmstadt in eine Nische hinter einen abgeschabten Holztisch quetschen. Da saß nun der mit 29 Jahren jüngster Bundesliga-Chefcoach und war angefressen wie noch nie in seiner gut siebenmonatigen Amtszeit. Vier Spiele, vier Unentschieden, gegen RB Leipzig (2:2) und nun in Darmstadt in den Schlussminuten einen Sieg verschenkt – von einem gelungenen Saisonstart kann man da nicht reden. «Es gibt sicher Spieler, die werden harte Kritik kriegen», kündigte Nagelsmann an.
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(dpa)