Mehr Gerechtigkeit? Bundesliga uneins über Videobeweis
Frankfurt/Main – Auf den ersten Blick ist alles ganz einfach. «Ich erhoffe mir von dieser Neuerung, was sich wohl alle davon erhoffen: mehr Gerechtigkeit in der Bundesliga», sagte Rudi Völler, Sportdirektor von Bayer Leverkusen, über die Einführung des Videobeweises.
Auch der Schiedsrichter Felix Brych meinte in einem FAZ-Interview ganz offen: «Ich will am Abend nach dem Spiel einfach nicht mehr der große Loser sein, wenn mal etwas schiefgelaufen ist.»
Ab dem Beginn der neuen Saison am Freitagabend wird auch in der Fußball-Bundesliga zum ersten Mal der Videobeweis genutzt. Dieses technische Hilfsmittel ist über Jahre von Fans, Experten und Vereinen gefordert worden. Es soll kritische Situationen aufklären und grobe Fehlentscheidungen verhindern. Doch kaum kommt diese bahnbrechende Neuerung endlich zum Einsatz, wird sie nach den ersten Pannen beim Confed Cup in Russland oder dem Supercup in Dortmund auch schon wieder hinterfragt. Eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab zwar, dass eine Mehrheit der befragten Trainer, Spieler und Verantwortlichen aus der Bundesliga die Einführung des Videobeweises begrüßt. Es gibt aber auch einige laute und prominente Gegenstimmen.
«Ich bin nach wie vor der Meinung, dass das Blödsinn ist», sagte Bayern-Präsident Uli Hoeneß. «Wenn wir bei minus zehn Grad spielen und das Spiel dann fünfmal für zwei Minuten unterbrochen wird, dann musst du auch noch die Fitnesstrainer auf den Platz schicken, damit die Spieler warm bleiben.» Die Einführung der Torkamera sei für ihn noch «okay» gewesen. «Aber ansonsten wird das alles auf die Dauer nicht sehr viel bringen. Vor allem die Diskussionen am Arbeitsplatz werden uns fehlen – die vermisse ich jetzt schon.»
Hoeneß‘ Rivale Hans-Joachim Watzke von Borussia Dortmund ist bei diesem Thema ähnlich skeptisch. «Ich habe mich lange dagegen gesperrt. Der Fußball hat auch deshalb eine so große Faszination, weil die Regeln immer nur moderat geändert wurden», sagte der Geschäftsführer des BVB. Das Spiel sei zwar so schnell geworden, dass ein Videobeweis vielleicht doch «Sinn macht». Aber, so Watzke: «In einem Stadion, wo es vor 70 000 Zuschauern in einer entscheidenden Meisterschaftsphase richtig zur Sache geht und du für eine strittige Entscheidung fünf Minuten brauchst, möchte ich nicht sein.»
Die Entscheidungsfindung dauert zu lange. Zuschauer wie Spieler werden unter Umständen verwirrt. Die Kritiker des Videobeweises haben alle die gleichen Sorgen. «Irgendwann, wenn zu viel unterbrochen und diskutiert wird, dauert das Spiel einen ganzen Nachmittag», befürchtet auch Trainer Pal Dardai von Hertha BSC.
Die meisten seiner Kollegen sehen das allerdings nicht so. «Vor 30 Jahren gab es auch im Tennis mit Becker, Connors oder McEnroe viele Diskussionen, ob der Ball drin war oder nicht. Mit dem Hawk-Eye (Computersystem zur Ballverfolgung) ist Tennis gerechter geworden», argumentiert André Breitenreiter von Hannover 96. «Der Videobeweis ist eine Hilfe für den Schiedsrichter und führt zu mehr Gerechtigkeit im Fußball.»
Auch Sportdirektor Stefan Reuter vom FC Augsburg betont: «Wir haben uns schon bei der Einführung der Torlinientechnik für den Videobeweis ausgesprochen. Wir erwarten uns, dass sich die Summe der Fehlentscheidungen dadurch deutlich reduziert.»
Bleibt die Frage, wie häufig und wie lange der Einsatz des Videobeweises ein Spiel unterbricht – und ob sich dadurch auch wirklich alle strittigen Fragen klären lassen. Frank Baumann ist sich da ganz sicher: «Definitiv wird das besser funktionieren. Die deutschen Schiedsrichter haben sich sehr gewissenhaft und ausgiebig darauf vorbereitet», sagte der Sportvorstand von Werder Bremen. «Natürlich wird es in der einen oder anderen Situation auch mal ungewohnt sein, gerade für den Zuschauer. Ansonsten kann man aber erwarten, dass die eine oder andere krasse Fehlentscheidung dadurch verhindert wird. Und das trägt dazu bei, dass der Fußball noch fairer werden wird.»
Christian Heidel sieht das ähnlich. «Vor Fehlern ist im immer schneller werdenden Profifußball niemand gefeit: weder Spieler, noch Trainer, noch Schiedsrichter. Vom Videobeweis erhoffe ich mir, dass er die Unparteiischen bei der Entscheidungsfindung sinnvoll unterstützt», sagte der Sportvorstand des FC Schalke 04. «Wünschenswert wäre, wenn alle Beteiligten dabei im Auge behalten würden, dass der Spielfluss möglichst wenig unterbrochen wird.»
Trainer Christian Streich vom SC Freiburg hat da so seine Zweifel. «Wenn der Videobeweis für mehr Gerechtigkeit sorgt, soll es mir recht sein», sagte er. «Es wird aber immer noch viele Streitfälle geben.»
Fotocredits: Rolf Vennenbernd
(dpa)