Leih-Torwart in Brasilien: «Alle wollen wie Neymar sein»
Rio de Janeiro – Brasilianer stehen wirklich nicht gerne im Tor. «In den USA beim Baseball nutzt man vielleicht seine Hände, hier wird aber von klein auf immer noch mit dem Fuß gespielt. Das gilt auch für Torhüter», sagt Caio Augusto Pinotti.
Der 29-Jährige nutzt für seine Freizeitmannschaft das Angebot von Goleiro de Aluguel, einem Start-up aus Curitiba, das Leih-Torhüter anbietet.
Matheus Sabino gehört zum Portfolio dieser kleinen Firma und wurde für einen Abendkick unter Flutlicht gebucht. Südlich von Maracanã im Stadtteil Tijuca spielen Pinotti und seine Kumpels auf einem von blauen Netzen umzäunten Kleinfeld. Laute Kommandos tönen über den Platz, durch einen der schmalen Korridore am Rand humpelt ein Spieler mit dick bandagiertem rechten Knöchel.
Zwar ist eine «Pelada», dieser privat organisierte Kick, eine Freizeitaktivität. Dennoch geht es sehr ambitioniert zu. Man spielt schließlich Fußball – das ist nicht nur Spaß, das ist auch Ernst.
Sabino ist stets hellwach, er will seine Sache gut machen. Der Verwaltungsstudent zählt seit eineinhalb Jahren zu den Torhütern bei Goleiro de Aluguel, über eine TV-Reportage wurde er darauf aufmerksam. «Hier kann ich gut abschalten», erzählt der 21-Jährige, der zwei bis dreimal im Monat zum Aushelfen kommt.
Als Kind hat Sabino wie so viele Mädchen und Jungen in Brasilien barfuß Fußball gespielt. Mit 14 bekam er seine ersten Torwart-Handschuhe, seit mehr als sechs Jahren ist er in seiner Freizeit Keeper. Früher sei sein Vorbild Júlio César gewesen. Der ehemalige brasilianische Nationaltorhüter war auch für seinen Lieblingsverein Flamengo in Rio de Janeiro aktiv. Dann habe es aber diese Sache bei der WM 2014 in Belo Horizonte gegeben, Júlio César musste im Halbfinale gegen Deutschland siebenmal hinter sich greifen. Und wer ist sein Idol heute? «Manuel Neuer», sagt Sabino grinsend.
Das zwiespältige Verhältnis der Südamerikaner zu Torhütern hat auch historische Ursachen. In Deutschland wollen Kinder vielleicht wie Neuer sein, in Brasilien nur niemand wie Moacyr Barbosa. Der damalige Torwart der Seleção kassierte bei der ersten WM nach dem Krieg 1950 vor 200 000 Zuschauern im Maracanã einen Treffer des Uruguayers Alcides Ghiggia, wodurch Brasilien den fest eingeplanten Titel verpasste. Barbosa war daraufhin in seiner Heimat geächtet.
«Er ist ein guter Torwart», lobt Pinotti seinen Mitspieler Sabino für diesen trüben Abend am Rande der Olympischen Spiele am Zuckerhut. Für die Dienste des Keepers zahlt der Analyst 30 Reais, umgerechnet rund neun Euro. 18 Reais davon behält Sabino selbst, 12 Reais gehen an die Firma weiter. Ein Teil dieses Betrags wiederum wird für karitative Zwecke gespendet.
Samuel Toaldo hatte im Januar 2015 die Idee für Goleiro de Aluguel. Eigentlich ist er Physiker, der 31-Jährige steht aber in seiner Freizeit selbst gerne im Tor. Irgendwann häuften sich die Anfragen von Freunden, die auf seine Paraden vertrauten. Mit einer Facebookseite nahm das kleine Projekt dann seinen Anfang.
Mittlerweile ist Eugen Braun sein Partner. Auch der 29-Jährige hatte sich über die Facebook-Seite für das Toreverhindern angemeldet und wollte dann gerne Toaldo helfen. Seit Juni 2015 haben die beiden eine eigene Website, eine App ist der nächste Schritt. Mehr als 6000 Torhüter sind bei ihnen angemeldet, mehr als 500 Fußballspiele kamen alleine im letzten Monat zustande.
«Alle wollen wie Neymar sein. Jeder Brasilianer will ein bisschen ein Star sein, jeder will mit einem Dribbling auf sich aufmerksam machen», erzählt Braun. Das ist das Glück von ihm und Toaldo, die mit ihrem Gewinn nach eigenen Angaben etwa 200 armen Kindern mit Sportartikeln geholfen haben und in Mali eine Torwartschule finanzieren.
In jedem brasilianischen Bundesland können sie Torhüter anbieten, alleine die Hälfte in Curitiba. «Wir haben auch schon lose Anfragen aus China und Argentinien», sagt Bauer. Goleiro de Aluguel will aber nichts überstürzen und langsam wachsen.
Fotocredits: Peter Bauza,Peter Bauza,Goleiro de Aluguel
(dpa)