Hoffenheims Rudy: Auf einmal ein «Aggressive Leader»
Zuzenhausen – Sebastian Rudy hat ein feines Füßchen. Aber er wäre wohl der Letzte, der in strassbesetzten Sneakers aus der Kabine käme. Eine eigene Modelinie? Der Nationalspieler lacht. Er trägt nicht einmal den Undercut, die typische Fußballerfrisur.
Und schon gar kein Tattoo. Facebook- oder Twitter-Präsens, das ist auch nicht sein Ding. Zum Interview und Fototermin erscheint der Profi von 1899 Hoffenheim in Jeans und schwarzem Kapuzenpulli. Unauffällig, bescheiden, bodenständig, eher leise. Und doch ist Rudy beim Tabellensechsten der Bundesliga zum «Aggressive Leader» aufgestiegen.
Genau solche Typen will Julian Nagelsmann haben. Nicht nur der mit 29 Jahren jüngste Erstliga-Coach schätzt seinen Mittelfeld-Motor. Auch bei Joachim Löw hat sich Rudy wieder einen Platz erkämpft – nachdem er kurz vor der EM vom Bundestrainer aus dem Kader gestrichen worden war. «Der schmächtige Junge mit dem Teenagerblick» («Süddeutsche Zeitung») erlebt derzeit seine beste Phase.
«Ich sehe es auch so, dass ich einen großen Schritt gemacht habe. Aber ich kann sicher noch zulegen», sagte der 26-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. «Das Robuste, das Zweikampfverhalten», habe er verbessert: «Ich denke, dass ich da präsenter geworden bin und mehr Dominanz ausstrahle.» In Hoffenheim trägt Rudy jetzt meistens die Kapitänsbinde: Er hat auch Eugen Polanski, den eigentlichen Spielführer, auf die Bank verdrängt. Und im Training, erzählen sie rund um Zuzenhausen, sei Rudy ganz oft einfach der Beste.
Unter Nagelsmanns Vorgänger Markus Gisdol und Huub Stevens saß er manchmal draußen oder spielte auf der weniger geliebten linken Außenverteidiger-Position. Er habe schon als Jugendlicher gelernt, «wie man sich auch als Nicht-Bulle geschickt in den Zweikämpfen verhält». Und dennoch wirkte der schmächtige Rudy in der Vergangenheit oft so, als spiele er fast körperlos. Jetzt ist er Dreh- und Angelpunkt im Spiel der Kraichgauer und hat großen Anteil am Höhenflug. Über eine ungemeine Passsicherheit verfügte er schon immer, nun glänzt er auch bei der Balleroberung. Nagelsmann gebe ihm das Selbstvertrauen und wesentliche Tipps, «die mich besser machen.»
Das wiederum macht den zwölfmaligen Nationalspieler, der zuletzt beim 4:1 gegen Italien sein bisher bestes Länderspiel zeigte, zu einem begehrten Profi. Sein Vertrag läuft am Saisonende aus, Rudy könnte ablösefrei wechseln. Der FC Sevilla soll unter anderem Interesse haben, sogar der AC Mailand. Bisher hat es Hoffenheim meist geschafft, seine Juwele mit einer kräftigen Gehaltsaufbesserung zu einer längerfristigen Vertragsverlängerung zu bringen – und sie dann für viel Geld zu verkaufen. Wie im Fall Kevin Volland (für 20 Millionen Euro zu Bayer Leverkusen) oder Roberto Firmino (41 Millionen Euro/FC Liverpool).
Und bei Rudy? Er ist bereits im siebten Jahr in Hoffenheim. «Wir haben gute Gespräche, aber wir haben uns auch gesagt, dass wir uns da keinen Druck machen», sagte der Mittelfeldspieler. «Ich bin guter Dinge, dass er bleibt», sagte Nagelsmann. Rudy wird von seinem Vater Claude, der einst mit Jürgen Klinsmann in der württembergischen Auswahl spielte, und vom Ex-Bayern-Profi Christian Nerlinger beraten.
«Für Hoffenheim spricht ziemlich viel, vor allem das, was wir in den letzten Monaten erreicht haben, wie wir dieses Jahr Fußball spielen», sagte er. Aber eine neue Erfahrung sei für Fußballer immer was Gutes. «Man will ja viel erleben. Ich hatte auch immer gesagt, dass ich mal international spielen will. Ob das irgendwann mal hier sein wird oder woanders, wird man dann sehen.»
Der in Villingen-Schwenningen geborene Rudy hat seine Karriere beim VfB Stuttgart begonnen und noch nie bei einem Club außerhalb Baden-Württembergs gespielt. Er sei «ein Familienmensch», hat vier Geschwister, die alle vier Fußball spielen und natürlich regelmäßig mit ihrem «Seppi» mitfiebern. «Es kann schon mal sein, dass dann – meine Frau natürlich inklusive – sieben Personen da sind», sagte Rudy und lächelt. Ja, er sei schon ein bodenständiger Typ.
Fotocredits: Ronald Wittek
(dpa)