Grün, grüner, Essen: 2017 mal wieder Hauptstadt Europas
Essen – Irgendwann sagt es jeder, der zum ersten Mal das Ruhrgebiet besucht: «Ist ja echt grün hier – hätte ich nicht gedacht.» Die Stadt Essen setzt im kommenden Jahr noch einen drauf und feiert sich ein Jahr lang als Grüne Hauptstadt Europas, dazu ernannt von der Europäischen Kommission. Wie bitte?
«Es ist immer noch so, dass das Ruhrgebiet als grau wahrgenommen wird. Wir möchten den Wandel von grün zu grau und wieder zu grün darstellen», sagt Christina Waimann vom Projektbüro Grüne Hauptstadt. Grau, das war Essen lange genug. Vor 100 Jahren beherrschte das riesige Stahlwerk der Firma Krupp die Innenstadt, Experten kommen auf 291 Steinkohlezechen im Verlauf der Stadtgeschichte. Einige davon prägen mit ihren charakteristischen Fördertürmen und Zechensiedlungen bis heute ganze Stadtteile.
Im Norden wurde der Fluss Emscher zu einem offenen Abwasserkanal umgebaut. Weiße Wäsche konnte man draußen eigentlich nicht aufhängen, so dreckig war die Luft fast überall im Ruhrgebiet. Anfang der 1970er Jahre wurde sogar das Baden im Trinkwasserfluss Ruhr verboten. Und jetzt: (fast) alles grün, die
Ruhr wieder dauerhaft sauber, die Emscher darf nach jahrzehntelangem Umbau für über fünf Milliarden Euro bald wieder ein echter Fluss sein.
Natürlich hat Essen wie andere Städte auch Parks und Wälder, landwirtschaftliche Flächen, Schrebergärten und Straßenbäume. Was also zeichnet Essen aus? «Mit Essen hat erstmalig in der Geschichte der Green Capital eine Stadt der Montanindustrie den Titel gewonnen», sagt Waimann. Aus einer Kohle- und Stahlstadt sei eine grüne Stadt geworden – «ein Vorbild für viele Städte Europas im Strukturwandel». Mit plakativen Zielen: 2020 soll es jeder Bürger nicht weiter als 500 Meter zum nächsten Grün haben. Und auch bei den anderen Ruhrgebietsstädten steht «Grün» hoch im Kurs: 2027 richtet die Region eine Internationale Gartenausstellung aus.
Beispiel Niederfeldsee in
Essen-Altendorf: Auf einem wenig beachteten Gelände mit alten Bahntrassen und einem Klärwerk am Rande der Innenstadt wurde vor ein paar Jahren ein knapp zwei Hektar großer See geschaffen. Das Ganze inmitten von Grünflächen, am Rande eine preisgekrönte Neubausiedlung mit 62 bezahlbaren Wohnungen, «Uferviertel» genannt.
Mitten hindurch führt auf einer ehemaligen Güterbahntrasse der Radschnellweg Ruhr durch die Region. Eine Art Autobahn für Fahrräder. 101 Kilometer lang soll der
«RS 1» dereinst von Hamm bis Duisburg führen und den Autoverkehr im Ruhrgebiet verringern helfen.
Auch die nordrhein-westfälische Landesregierung unterstützt die grüne Hauptstadt – mit sechs Millionen Euro. Die zumeist längerfristigen Ziele aus den zwölf Themenfeldern der Bewerbung seien «ambitioniert», heißt es in einer Stellungnahme. Für «besonders relevant» hält das Land, dass das Hauptstadtjahr «intensiv dafür genutzt wird, weiter an den fachlichen Zielen, wie zum Beispiel der Verbesserung der Luftqualität, zu arbeiten».
Beim Programm der «Grünen Hauptstadt» setzt die Stadt auf Bürgerbeteiligung und Nachhaltigkeit. Mehr als 300 Aktionen sind geplant. Ein Highlight: Mit Beginn der Badesaison soll ab Mai das Baden in der Ruhr wieder erlaubt werden – nach 46 Jahren Verbot. Zwar zunächst nur an einer einzigen Stelle am Baldeneysee, der aufgestauten Ruhr, aber immerhin. An einem «Tag der Bewegung» im Juli wird ein Teil der Essener Innenstadt für den Autoverkehr gesperrt. Eine «Route der Kleingärten» soll Radfahrer zu den interessantesten Schrebergärten der Stadt führen. Auch die Natur selbst wird eingespannt: Bienen sollen einen Grüne-Hauptstadt-Honig erzeugen.
Das Programm steht unter dem Motto «Erlebe Dein grünes Wunder». Es wird am 21. Januar mit einem Bürgerfest im Stadtpark «Gruga» eröffnet. Das Wetter wird bestimmt schön. Die Veranstalter legen großen Wert auf Bürgerbeteiligung. Mehr als 200 Projekte kommen allein aus diesem Bereich. Geplant ist etwa ein Tausch-Café namens «Tauschwatt». Spezielle Stadtrundgänge zeigen die Möglichkeiten, nachhaltige Mode zu kaufen. Ein Naturschutzverein stellt ein Fledermausprojekt auf die Beine.
Und wer mal nichts machen will, kann 2017 auch einfach nur gucken: Mehr als 30
Aussichtspunkte will die Stadt kennzeichnen. Einer der spektakulärsten ist nicht neu: Die Schurenbachhalde im Essener Norden. Seit 1998 ragt auf ihr eine etwa 15 Meter hohe Stahlplatte in den Himmel – der im «Pott» schon lange wieder blau ist.
Die «Grüne Hauptstadt Europas»
Die «Grüne Hauptstadt Europas» soll Vorbild sein inSachen Umweltschutz – für mehr Lebensqualität. Die EU-Kommissionvergab den ersten Titel 2010 an Stockholm. 2011 folgte Hamburg. EineJury bewertet die Kommunen in zwölf Bereichen wie etwa Anpassung anden Klimawandel, Verkehr, Luftqualität, Lärmschutz,Abwasserbehandlung und Energieeffizienz. 2016 trug Ljubljana, dieHauptstadt Sloweniens, den Titel. 2017 folgt Essen, nach Hamburg diezweite deutsche Stadt, 2018 ist dann Nijmegen in den Niederlandendran.
Essen ist die erste ehemalige Montanindustrie-Stadt, die den Titelbekommt. Der Etat beläuft sich nach Angaben der Stadt auf über 16Millionen Euro, die von der Stadt, dem Land Nordrhein-Westfalen, demBund und Sponsoren aufgebracht werden. Essen war 2010 schon einmalHauptstadt Europas: zusammen mit dem Ruhrgebiet in Sachen Kultur.
Fotocredits: Roland Weihrauch
(dpa)