Goldreif: Von München nach Rio mit dem Rad

Rio de Janeiro – Das mit Schwarzbär in Alaska war knapp. «Der kam hinter uns hergerannt, wurde aber von einem Auto erfasst und war leider tot», erzählt Nico Schmieder. In einem kleinen Notizbuch sind alle Daten seiner wahrlich olympischen Leistung erfasst: 28 432 Kilometer.

333 Tage im Fahrrad-Sattel. Pro Tag rund fünf Stunden, im Schnitt 85,67 Kilometer. Und das mit vollbepackten, 40 Kilogramm schweren Rädern. Ende April 2015 in München losgefahren und am 5. August 2016 zu den Olympischen Spielen in Rio angekommen.

Gut, das kann man nicht alles mit dem Rad fahren, auch das «Trio for Rio» nicht. Da liegt ein bisschen Wasser dazwischen. Aber Nico Schmieder (27), sein Bruder Julia und Kumpel Sandro Reiter (beide 33) haben geradezu Berge bewegt, bis zu 4500 Meter hoch in die Anden, am Ende stehen im Buch über 150 000 Höhenmeter.

Es ging durch 24 Länder, nach dem Passieren von Frankreich, England und Schottland per Flieger nach Island, nach einer kleinen Tour dort startete der Flieger nach Anchorage, Alaska. Ursprungsidee war, die ganze Panamericana – ein System von Schnellstraßen – herunterzufahren, dann kam die Idee mit Rio, rechtzeitig zu Olympia in der brasilianischen Metropole einzufahren. Pro Tag haben sie – inklusive Flügen und einem Trip zu den Galapagos-Inseln vor Ecuador – 18 Euro pro Person ausgegeben, penibel aufgelistet im Notizbuch, meistens haben sie unterwegs gezeltet. Mit 134 Ruhe- und Ausflugstagen waren sie 467 Tage bis Rio unterwegs.

Sie radeln bei der Zielankunft mitten in eine Demonstration hinein, willkommen in der Olympiastadt Rio de Janeiro. Was für ein Finale: Über die Avenida Atlântica die Copacabana entlang, bis zu den Olympischen Ringen am Strand. Während Hunderte Menschen gegen den Interimspräsidenten Michel Temer protestieren, «Temer raus» rufen, ihm einen Putsch gegen die suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff vorwerfen, steigen die drei Deutschen vom Rad. Jedes vollbepackt mit orangenen Gepäcktaschen, geschmückt mit grünen Brasilien-Fahnen. Zur Belohnung genießen sie jetzt Olympia, gehen zum Beachvolleyball.

Von Alaska ging es durch Kanada, die USA, ganz Mittelamerika (inklusive Ausruhen in Kuba) runter bis nach Südamerika. Da die berühmte Panamericana durch den Dschungel zwischen Panama und Kolumbien unterbrochen ist, mussten sie hier noch einmal eine Schiffsspassage einlegen. In Ecuador waren sie, als sich dort ein Erdbeben mit Hunderten Toten ereignete. Zuvor in Mexiko hatte es einen Hurrikan gegeben. «Die Länder sind meist viel besser, als sie in den Medien dargestellt werden», lautet Julians Bilanz. Bei minus elf Grad liegt der Kälterekord der Tour, inklusive gefrorenem Trinkwasser und Zahnpasta. Was sie vermisst haben? Schweinshaxen und Maultaschen.

Die Brüder Schmieder sagen von sich selbst, sie seien Dickköpfe. Sie stammen aus Schwaben, Rottenburg-Hailfingen. Getreu des Baden-Württemberg-Slogans «Wir können alles außer Hochdeutsch», setzen sie ihr Projekt um, gewonnen Sandro dafür, sie finden Sponsoren für Räder und Taschen. «Dass wir jetzt genau zu Olympia hier sind, ist schon eine gute Planung», meint Nico.

Neben ihm steht Rudi, ein Schweizer, der seit 20 Jahren in der Nähe von Rio lebt. Er hatte das «Trio for Rio» am Tag vor der Ankunft in Rio beim Ausruhen am Strand getroffen, hatte gesagt: «Ihr seid ja bekloppt» und sie spontan zum Übernachten eingeladen. Auf dem Weg nach Rio haben die drei Radler noch einen Russen getroffen, der unter anderem über China, Vietnam, Kambodscha, und Flug von Singapur nach Chile angeblich 19 000 Kilometer zu Fuß bis Rio gelaufen ist.

«Wie wir das finanziert haben? Wir hatten seit drei Jahren diesen Traum im Kopf. Ich habe als Gärtner gearbeitet, im Supermarkt, beim Zimmermann in den Ferien ausgeholfen, während des Studiums im Fitnessstudio gearbeitet», berichtet Nico. Sandro hatte den Job als Solartechniker drangegeben, Julian den als Sozialpädagoge.

Was am schönsten war? «Die Einsamkeit und Ruhe in Alaska und Kanada. Wenn es keine Autos gibt und keine Umweltverschmutzung, ist es einfach ein Traum», sagt Sandro. Da wisse man erst, wie wichtig der Umweltschutz sei. Sandro hatte zum Schluss mächtig zu kämpfen. Die Pedale ist zwei Mal abgebrochen und musste geschweißt werden. «Sie hat 1200 Kilometer gewackelt wie ein Kuhschwanz, meine Knie haben sich bedankt.» Doch das ist nun alles vergessen. Das «Trio for Rio» ist am Zielort umringt von interessierten Menschen, die sie für diese Leistung feiern. Sozusagen gelebtes Olympia.

Fotocredits: Peter Bauza
(dpa)

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