Gold-Hoffnung Koch: Muss Weltrekord schwimmen
Darmstadt (dpa) – Es geht schon auf Mitternacht zu, da liefert sich Marco Koch eine Auseinandersetzung mit seinem Heimtrainer. Der Weltmeister argumentiert im Becken des Darmstädter Nordbades munter darüber, ob Alexander Kreisel sich bei der Zeitnahme vertan haben könnte.
Diese Szene eines kühlen Juli-Abends wird zwar nicht entscheidend sein für den erhofften Olympiasieg über 200 Meter Brust am 10. August (Ortszeit) in der Schwimmhalle des Olympiaparks von Rio de Janeiro. Und doch zeigt sie, wie ernsthaft sich der beste deutsche Schwimmer auf seinen größten Wettkampf vorbereitet; trotz aller Gelassenheit.
Große Kampfansagen waren noch nie die Sache des 26-Jährigen. Erst recht nicht vor dem möglichen Tag seines Lebens, an dem nach Kochs Meinung nur der Weltrekord den Olympiasieg bringt. «Ich möchte einfach nur ein Rennen machen, mit dem ich zufrieden bin. Ich will alles versuchen, was möglich ist, und möchte mir nach dem Rennen in Rio nichts vorwerfen müssen. Dann werde ich auch zufrieden sein, wenn es keine Medaille wird», sagt Koch im dpa-Interview. «Alles andere wäre ja verrückt.»
Anderen Weltmeistern würde man das eher als Understatement auslegen. Koch aber meint, was er sagt: 2015, bei seinem WM-Triumph in Kasan, konnte er sich anfänglich nicht über Gold freuen. Er ärgerte sich vielmehr über die Zeit. Bodenständig, aber fokussiert.
Dafür nimmt Koch, wie die anderen Schwimmstars, die notwendigen Unannehmlichkeiten dieser Spiele von Rio in Kauf. Da wegen des US-Fernsehens die Vorläufe von 13.00 Uhr, die Halbfinals und Finals von 22.00 Uhr an bis nach Mitternacht gehen, muss der Student der Wirtschaftspsychologie wie alle Nicht-Amerikaner seinen Biorhythmus umstellen.
Schlafen bis halb elf, Mittagessen um sechs Uhr abends, Abendessen nach Mitternacht. Mittels spezieller Lampen soll der Körper abends, wenn in Rio die Sonne schon vor 18.00 Uhr Ortszeit untergeht, nicht zu schnell in den Schlafmodus wechseln. Ein Versuch im Schlaflabor der Berliner Charité brachte Koch nicht viel; er könne eigentlich eh überall schlafen, hatte er zuvor wissen lassen.
Die deutschen Beckenschwimmer sind mit Koch als größter Hoffnung wieder für Olympia-Medaillen gut. Vor vier Jahren gab es in London erstmals seit 1932 keine einzige olympische Plakette für deutsche Beckenschwimmer. Koch war auch in London dabei, als damaliger EM-Zweiter durchaus mit Chancen. Dann aber verlor er auf dem Weg nach London Anspannung und Form, scheiterte im Olympia-Halbfinale.
Diese Fehler sollen sich in Rio nicht wiederholen: Diesmal ist sein langjähriger Heimtrainer Kreisel dabei. Erst drei Tage vor seinem ersten Wettkampf reist Koch in die Olympia-Stadt. Ein Erfolgsrezept, das bei WM-Silber 2013, EM-Gold 2014 in Berlin und dem WM-Titel 2015 in Kasan/Russland aufging.
Und wie belohnt sich der Gluten-Allergiker, der sich sonst «vegan mit Fleisch» ernährt und Ernährungsprinzipien penibel einhält? Mit dem Besuch in einem Fastfood-Lokal. «Einmal im Jahr kann ich mir dann auch solchen Dreck reinpfeifen», sagt Koch in solchen Momenten gerne.
Dank eines «fließenden» Körperbaus ist er wie für das Brustschwimmen gemacht. «Eine Art Pinguinform, sehr weiche Haut, sehr außergewöhnlich, kein Schwabbel. Ich kenne keinen anderen Athleten, der so aussieht», sagt Kreisel. So kann Koch unter Wasser seine überragende Gleitfähigkeit ausspielen. «Bei anderen sieht man mehr Spritzer, das bedeutet Geschwindigkeitsverlust. Marco schafft es, beim Auftauchen die Geschwindigkeit mitzunehmen», erklärt Kreisel. Er ist mehr als nur Trainer für Koch, dessen Mutter ihn ohne Vater aufzog.
«Er muss jemanden haben als Bezugsperson, das muss nicht automatisch ich sein. Er braucht jemanden, der ihm auch mal ein bisschen freie Leine lässt», sagt Kreisel. Er nimmt es gelassen hin, wenn sein langjähriger Schützling mal etwas Dampf ablässt, wenn das harte Training ihn auch mental an Grenzen bringt. «Wenn er sehr müde ist, wird er schon mal pampig. Das sind dann die harten Momente, wo man mal aneinander gerät», berichtet Kreisel – kann aber gut damit leben: «Das ist aber sehr selten.»
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(dpa)