Gold-Favoritin Shiffrin leidet ohne Slalom-Medaille
Pyeongchang – Der krachend verpasste Olympiasieg bereitete der haushohen Gold-Favoritin Mikaela Shiffrin innerlich Schmerzen.
«Jede Niederlage, die ich hatte – ich erinnere mich daran soooo gründlich. Als würde ein Teil meines Herzens abbrechen und ich kann es nie wieder zurückbekommen. Heute geht es mir nicht anders», sagte die Amerikanerin nach Rang vier im Slalom und 0,40 Sekunden Rückstand auf Olympiasiegerin Frida Hansdotter. «Irgendwann werde ich verstehen, dass das ein Teil des Lebens ist, aber ich bin nur 22, und im Moment fühle ich mich…» – dann folgte einen Tag nach dem Triumph im Riesenslalom ein tiefer, lauter Seufzer eines bitter enttäuschten Menschen.
Grundsätzlich ist Shiffrin auch ohne ihre zweite Goldmedaille bei den Winterspielen in Pyeongchang immer noch Shiffrin und damit das Maß der Dinge, daran hegte sie auch selbst keine Zweifel. «Ich weiß – das klingt jetzt so arrogant – dass ich die beste Slalomfahrerin der Welt bin. Das habe ich oft gezeigt», sagte sie, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte. «Meine besten Slalomschwünge sind die besten der Welt. Aber heute bin ich nicht mal in die Nähe gekommen.»
Deswegen fehlten ihr 0,08 Sekunden auf die Medaillenränge. Gold ging an die Schwedin Hansdotter, Silber an die Schweizerin Wendy Holdener und Bronze völlig überraschend an Katharina Gallhuber aus Österreich.
Und Shiffrin, die sich wie schon oft in ihrer Karriere vor dem Start des ersten Durchgangs aus Nervosität übergeben hatte, litt. Völlig entkräftet saß sie zusammengekauert im Zielraum und brauchte trotz des eisigen Windes lange, um sich in Richtung der wartenden Journalisten zu bewegen. «Das ist hart zu verdauen», erklärte sie. «Ich habe mich heute selber geschlagen. Ich bin sehr enttäuscht.»
An die Niederlagen ihrer Karriere kann sich Shiffrin auch deswegen so gut erinnern, weil es kaum welche gab. Seit sie 2013 im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal Slalom-Weltmeisterin wurde, folgten der Olympiasieg ein Jahr später in Sotschi und die WM-Titel 2015 und 2017. Nie zuvor konnte eine Skirennfahrerin bei vier Großereignissen nacheinander in einer Disziplin die Goldmedaille gewinnen. Dazu kommen ihre vier Slalom-Kristallkugeln für die Disziplin-Wertung und der erste Gesamtweltcupsieg in der vergangenen Saison.
Trotz der Schwächephase unmittelbar vor der Abreise gen Südkorea ging es vor dem Slalom eigentlich nur um die Frage, wer hinter Shiffrin Silber und Bronze gewinnen würde. Doch die Aufregung und die Emotionen durch Riesenslalom-Gold tags zuvor, die Siegerehrung, das späte Zubettgehen, all das brachte Shiffrin um ihren gewohnten Rhythmus. «Bei zwei aufeinanderfolgenden Rennen ist es wichtig, seine emotionale Stabilität zu halten», sagte sie. «Das ist mir nicht gelungen.»
Der Super-G am Freitag findet ohne Shiffrin statt, über einen Start in der Abfahrt am Mittwoch will sie je nach Verlauf der Trainingsfahrten entscheiden. Sicher antreten will sie in der Kombination. Bis dahin wartet viel Arbeit. «Wir werden diesen Tag analysieren und herausfinden, was passiert ist, um das in Zukunft zu verhindern», sagte sie. Denn Verlieren, den Schmerz – nein, danke.
Fotocredits: Michael Kappeler
(dpa)