Geht Eishockey-Sensation noch weiter?

Pyeongchang (dpa) – Die wundersame Eishockey-Geschichte steht kurz vor dem Abschluss. Deutschland drückt am Sonntag im Olympia-Endspiel seinen neuen Eis-Helden gegen die Olympischen Athleten aus Russland (OAR) die Daumen.

Und die Auswahl von Bundestrainer Marco Sturm will die Fans mit dem nächsten Coup glücklich machen. «Alles ist möglich. Unser Weg ist immer noch nicht zu Ende. Wir wollen mehr», sagte er vor dem großen Finale am Sonntag in Pyeongchang (05.10 Uhr).

Es wäre eine der größten Sensationen der deutschen Sportgeschichte. Deutschland Olympiasieger im Eishockey? Unvorstellbar – so dachte man vor den Winterspielen. «Wunder auf eis» schrieb die kanadische Zeitung «Metro» auf deutsch nach der 4:3-Gala Deutschlands am Freitag im Halbfinale gegen Kanada. Für Sotschi 2014 war die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) nicht einmal qualifiziert. Seit 42 Jahren hat Deutschland im Eishockey nichts mehr Zählbares erreicht. 1976 wurde Deutschland sensationell Bronze-Medaillengewinner. Mit der bereits gesicherten Silbermedaille ist dies schon jetzt übertroffen.

«Jetzt ist es mehr eine Cinderella-Story», sagte Ex-NHL-Verteidiger Christian Ehrhoff, der ob des völlig unerwarteten Erfolges seines Teams in Pyeongchang sogar zum Fahnenträger für die Schlussfeier der Winterspiele am Sonntag auserkoren wurde. «Olympiasieg wäre die absolute Krönung. Olympiasieg mit Deutschland – das ist höher zu setzen als den Stanley Cup zu gewinnen», sagte Ehrhoff, der den Stanley Cup 2011 nur knapp mit Vancouver verpasst hatte.

Nun ist das Unfassbare so nah wie nie. «Der Glauben ist da. Man merkt: Die Jungs wollen mehr und da kann man sie auch nicht abhalten», meinte Bundestrainer Sturm, obwohl sein Team gegen den Rekord-Weltmeister wieder großer Außenseiter ist. Mit 23:5 Toren fegte die Sbornaja mit ihren Stürmerstars Pawel Dazjuk und Ilja Kowaltschuk bislang durch das Turnier, verlor nur das erste Spiel gegen die Slowakei mit 2:3. Zudem bangt Sturm noch um den Einsatz des angeschlagenen Stürmers David Wolf.

«Wir sind der Underdog. Die Russen sind auf dem Papier einfach besser. Aber so war es das ganze Turnier über schon und wir haben immer einen Weg gefunden», sagte Sturm. «Wir wissen: Wenn wir genau so weiterspielen, dann haben wir eine gute Möglichkeit, Gold zu erreichen.» Und DEB-Präsident Franz Reindl prophezeite: «Ich glaube, dass die volle Pulle reinmarschieren.»

Es scheint durchaus möglich, dass die aktuellen Nationalspieler eine ähnliche Popularität erreichen wie Reindl, Erich Kühnhackl, Alois Schloder und Co. damals. 5,33 Millionen Zuschauer sahen am Freitagmittag deutscher Zeit das Wunder gegen Kanada in der ARD und damit sogar mehr als die «Tagesschau» zur Primetime – eine solch hohe Quote hatte es für ein Eishockeyspiel ewig nicht mehr gegeben.

Längst sind alle DEB-Fanartikel ausverkauft. Verbandschef Reindl rechnet fest mit einem Boom: «Ich glaube schon an einen Schub. Wir sehen ja die Klicks, und wie das boomt. Man sieht den Effekt.»

Mit ihrem bescheidenen Auftreten und leidenschaftlichem Kampf auf dem Eis begeistern die Spieler in Deutschland die Massen und die anderen deutschen Athleten in Pyeongchang. Für das Finale wird die Nachfrage im «Team D» noch einmal steigern. Gegen Weltmeister Schweden und Rekord-Olympiasieger Kanada hatten unter anderem die Olympiasieger Maria Höfl-Riesch und Claudia Pechstein mitgefiebert.

Nach dem Jahrhundertspiel gegen Kanada gaben die Smartphones von Sturm, Reindl und einigen Spielern beinahe den Geist auf. «500, 600 Mal ist es zu mir rübergekommen auf mein Handy», berichtete Reindl und Sturm erzählte von rund 300 Nachrichten. NHL-Ausnahmestürmer Leon Draisaitl meldete sich per Facetime direkt nach dem Spiel begeistert beim Team. Weltweit war die deutsche Sportprominenz aus dem Häuschen.

In Chicago schrie Bastian Schweinsteiger seine Freude vor dem Fernseher heraus. DFB-Teammanager Oliver Bierhoff schickte eine Videobotschaft und Tennis-Legende Boris Becker setzte begeisterte Tweets ab. «Man kriegt das schon mit, was zu Hause passiert. Aber die ganze Ausmaße können wir uns noch nicht so klar machen. Auch das Ganze hier werden wir auch erst in einer Weile realisieren können. Im Moment geht alles so schnell», sagte Ehrhoff.

DOSB-Chef Alfons Hörmann ist trotz der übrigen bisherigen deutschen Goldmedaillen hin und weg vom Eishockey-Team. Per «präsdialer Verfügung» wird das Deutsche Haus in den Bergen von Pyeongchang am Sonntag noch einmal für das Eishockeyteam geöffnet. «Das sind wir der Mannschaft in jeder Hinsicht schuldig», sagte Hörmann der Deutschen Presse-Agentur. DEB-Torhüter Danny aus den Birken kündigte an, dies voll auszunutzen. «Danach müssen sie es renovieren», sagte der Goalie vom deutschen Meister EHC Red Bull München. Ob mit Gold oder Silber um den Hals dürfte egal sein.

Fotocredits: Peter Kneffel

(dpa)
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