Experten warnen vor Legal Highs im Straßenverkehr
Berlin – Der Kick ist nur wenige Klicks entfernt: Wer auf der Suche nach berauschenden Stoffen das Internt durchforstet, wird schnell fündig.
Unter dem Begriff Legal Highs werden dort viele Substanzen als vermeintliche legale und harmlose Rauschmittel beworben, die Experimentierfreudige per Post ins Haus bestellen können. Doch die Stoffe haben es in sich: Schon ein paar Züge an einer «Kräuterzigarette» können eine Ohnmacht hervorrufen, aggressives Verhalten, Herzrasen oder Psychosen zur Folge haben.
Neben diesen unmittelbaren gesundheitlichen Risiken sehen Fachleute eine weitere Gefahr: Die Substanzen seien ein unterschätztes Risiko im Straßenverkehr, warnen sie vor einem
Symposium der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie ab Freitag (28. September) in Saarbrücken. Dort diskutieren Ärzte, Toxikologen, Psychologen und Juristen, wie die Stoffe die Verkehrstüchtigkeit beeinflussen, wie sie sich nachweisen und wie sich Drogenfahrten verhindern lassen.
«Die Substanzen wirken oft sehr viel stärker als etwa Cannabis oder andere herkömmliche Drogen und werden oft überdosiert«, erläutert Toxikologin Nadine Schäfer vom Institut für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes in Homburg. Die körperlichen Auswirkungen seien je nach Substanz sehr variabel. «Wie genau welcher Stoff in welcher Konzentration wirkt – darüber wissen wir noch viel zu wenig», so die Tagungsleiterin des Symposiums. Besonders problematisch im Straßenverkehr: Mit herkömmlichen Tests lassen sich die Substanzen meist nicht nachweisen.
Fachleute fassen die Legal Highs unter dem Begriff neue psychoaktive Substanzen (NPS) zusammen. Es handelt sich um synthetische Mittel, die als Alternative zu bekannten Drogen wie Cannabis, Ecstasy oder Amphetaminen vermarktet werden. Sie werden als Kräutermischung, getarnt als Badesalz oder Lufterfrischer angeboten und tragen Namen wie Summer High, Burning Skull oder Party Beast. Ihre Wirkung wird offensiv beworben: «Bau Dir eine Monstersichel und schädel Dich dezent für ein Stündchen oder mehr dahin, wo sich Aufregung und Hektik nicht hintrauen», schreibt ein Anbieter. Der Erwerb sei «absolut legal» und für den Käufer mit keinerlei Risiken verbunden.
«Das ist so sicher nicht richtig», sagt Ludwig Kraus, Epidemiologe vom IFT Institut für Therapieforschung in München: «Wer solche Drogen im Internet bestellt, weiß nicht, was er bekommt – weder ob es legal ist, noch wie es wirkt. Das ist wie eine große Black Box.» Das belegt die Zahl der jährlichen Todesfälle: Allein 2017 seien 75 Menschen nach dem Konsum von NPS gestorben, berichtete das Bundeskriminalamt im Mai. 2016 waren es laut Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung 98 Tote.
Genau wie andere Drogen beeinträchtigen die Substanzen die Fahrtüchtigkeit. «Synthetische Cannabinoide wirken oft dämpfend und führen zu nachlassender Aufmerksamkeit», sagt Toxikologin Schäfer. Solche Fahrer fielen oft durch sehr langsames Fahren auf. Ganz anders wirken etwa Stimulanzien. Sie erhöhen zwar die Wachsamkeit – aber auch die Risikobereitschaft. Rasantes Fahrverhalten sei die Folge.
Bei Verkehrskontrollen lässt sich ein Konsum derartiger Drogen nicht nachweisen – oder nur nach umfangreichen Analysen. Lieferten Atemalkohol- und Drogenschnelltests bei auffälligen Fahrern kein Ergebnis, werde eine Blutprobe entnommen und im Labor untersucht, erläutert Schäfer. Auch so sei der Nachweis von NPS kein Kinderspiel, weil die Substanzen sehr variabel seien und Hersteller die Rezepturen ständig änderten. «Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel.»
Seit November 2016 gibt es in Deutschland ein Gesetz für den Umgang mit diesen neuartigen Drogen. Im Neue psychoaktive Substanzen Gesetz (NPSG) sind zwei Stoffgruppen als verboten gelistet, die eine Reihe von Einzelsubstanzen umfassen: die synthetischen Cannabinoide und die Phenethylamine. Der Konsum dieser Stoffe bleibt straffrei, aber Erwerb, Besitz und Handel sind verboten und werden bestraft.
Vor Einführung des NPSG wurden einzelne Substanzen zumeist im Betäubungsmittelgesetz als verboten aufgelistet. Doch durch winzige Änderungen an der chemischen Struktur umgingen Drogenköche das Gesetz schneller, als dieses um neue Stoffe erweitert werden konnte. Das sollen das NPSG und die Einführung verbotener Stoffgruppen ändern.
Inwieweit das gelingt, untersuchen Wissenschaftler um Kraus in einem Projekt. «Es besteht natürlich nach wie vor die Gefahr, dass die Hersteller der Drogen auf andere Substanzen ausweichen», sagt Kraus. Schlimmstenfalls sind die sogar noch gefährlicher als die verbotenen Stoffe. Ergebnisse sollen im Sommer 2019 vorliegen. In Europa sank die Zahl der neuerfassten Stoffe zuletzt. 2014 wurden laut Europäischem Drogenbericht noch 101 Substanzen erstmals nachgewiesen, im Jahr 2017 nur noch 51 – möglicherweise eine Folge nationaler Gesetze wie dem NPSG, heißt es in dem Bericht.
Auf den Verkaufsseiten werben Vertreiber indes weiter für ihre Produkte, oft mit dem Hinweis «Unterliegt nicht dem NPSG». Verlassen sollten sich Nutzer darauf nicht, sagt Kraus. Selbst Händler wüssten oft nicht, was in den Mischungen stecke. Das Risiko sei erheblich, illegale und gefährliche Substanzen zu erwischen.
Laut
Europäischem Drogenbericht werden viele Substanzen in China in großen Mengen hergestellt. In Europa erfolgten Weiterverarbeitung, Verpackung und Verkauf. Das Ausmaß des Problems sei schwer zu fassen, von einer Epidemie könne man nicht sprechen, betont Kraus. In ihrem
Drogen- und Suchtbericht 2017 spricht die Bundesregierung von knapp 460.000 Konsumenten zwischen 18 und 64 Jahren im vorherigen Jahr. Die meisten Nutzer fänden sich in der Gruppe der 18- bis 20-Jährigen.
Welche Rolle NPS im Straßenverkehr spielen, ist schwer zu beziffern. Laut Bundesverkehrsministerium hat sich die Zahl der Verkehrsunfälle nach Drogenkonsum in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Darunter fielen Cannabis, Heroin, Ecstasy, Speed oder andere Amphetamine. Zu vernachlässigen sei das Problem jedenfalls nicht, sagt Toxikologin Schäfer. «Die Dunkelziffer ist vermutlich hoch.»
Fotocredits: Christoph Schmidt
(dpa)