Ersatzleute Weinhold und Lichtlein: Dabei statt mittendrin
Rio de Janeiro (dpa) – Ein wenig wehmütig blicken Steffen Weinhold und Carsten Lichtlein von ihrem Balkon. Die an sich tolle Aussicht auf das Olympische Dorf erinnert die beiden Handballer schmerzlich daran, dass sie zwar in Rio de Janeiro sind, aber nicht so wirklich bei den Olympischen Spielen.
«Wir sind mittendrin, aber eben nicht voll dabei», sagt Torhüter Lichtlein. Wenn das Europameister-Team am Sonntag (16.30 Uhr) sein Auftaktspiel gegen Schweden bestreitet, sind die beiden Routiniers zur Untätigkeit verurteilt.
Das Duo gehört nicht zum offiziellen Olympia-Aufgebot, das aus 14 Spielern und einem Standby-Akteur besteht. Diese sind im Athletendorf einquartiert, sie haben die Akkreditierungen, mit denen sie sich an allen olympischen Stätten frei bewegen können. Anders sieht es bei Lichtlein und Rückraumspieler Weinhold aus: Sie wohnen in Sichtweite der streng bewachten Sportler-Hochhäuser in einem Appartement, müssen ständig aufs Neue das Akkreditierungsprozedere durchlaufen und lange Wege zu Fuß zurücklegen, weil sie nicht die offiziellen olympischen Transportmittel benutzen dürfen.
Carsten Lichtlein und Steffen Weinhold sind die Ersatzleute und kommen nur ins Spiel, sollte einer ihrer Kollegen ausfallen – dabei sind beide im Januar mit Europameister geworden. Doch Weinhold traf ausgerechnet kurz vor der Nominierung erneut das Verletzungspech, als er sich einen Muskelfaserriss zuzog. Lichtlein hatte als dritter Schlussmann gegenüber Silvio Heinevetter das Nachsehen.
«Ich stehe hier mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich wollte immer zu Olympia, ich bin bei Olympia. Aber eigentlich hatte ich mir das anders vorgestellt. Ich wollte spielen…», sagt Lichtlein. Für den 35-Jährigen ist die Situation besonders tragisch: Schon 2004 und 2008 blieben ihm die Spiele in Athen und Peking als Nummer drei versagt.
Beschweren aber wollen sich die beiden nicht, weder über ihr Dasein abseits der Mannschaft noch über ihr Quartier. «Ich glaube, das ist besser als das von der Mannschaft. Uns geht es gut», befindet Steffen Weinhold. Ein Internet-Zugang via W-LAN ist in Arbeit. Und ein wenig olympisches Flair haben sie geschaffen: An ihrem Balkon im zehnten Stock hängt eine Deutschland-Fahne. Und ansonsten hilft Humor ihnen über vieles hinweg. «Es schaut so aus, als hätten wir es bei AirBnB gebucht», meint der 30 Jahre alte Kieler Linkshänder in Anspielung auf den Online-Marktplatz für Ferienunterkünften.
Sie sind Selbstversorger und kaufen im Supermarkt fürs Frühstück oder Abendessen ein. Zwar können sie auch im Olympischen Dorf essen und verbringen täglich mehrere Stunden dort, aber mitunter lohnt es sich zeitlich einfach nicht, hin- und herzulaufen. «Da macht man immer ein paar Meter», berichtet Weinhold und wünscht sich ein Fahrrad als Erleichterung.
«Es ist ein komisches Gefühl, die beiden zu sehen. Es wäre ihnen und uns lieber, wenn sie bei uns wären», betont Rechtsaußen Patrick Groetzki. «Die haben leichte Wege zu uns», erklärt Bundestrainer Dagur Sigurdsson. Leicht sind sie vielleicht, aber umständlich und lang. «Es ist ein bisschen dumm, dass man immer komplett um das Dorf rumgehen muss, um ins Dorf reinzukommen. Luftlinie ist es sehr nah, aber man hat immer ein bisschen Fußmarsch für alle Sachen, sei es für die Trainingsakkreditierung, die Akkreditierung fürs Dorf oder die Mensa», erzählt Steffen Weinhold, dessen Blessur fast ausgeheilt ist.
So gern das Duo in Rio mit der Mannschaft auch spielen und nicht nur trainieren will, eins wollen sie auf gar keinen Fall: Dass einer ihrer Mitspieler ausfällt. «Erstens hoffe ich nicht, dass sich irgendein Spieler bei uns verletzt. Zweitens heißt es: Voll fokussiert zu bleiben, für den Fall, dass es doch passiert. Dann will ich, nein, dann werde ich bereit sein», verspricht Lichtlein.
Fotocredits: Lukas Schulze
(dpa)