Erfinder des Borussen-Mythos: Weisweiler wäre 100 geworden
Mönchengladbach – Als Marco Rose neuer Trainer von Borussia Mönchengladbach wurde, führte ihn einer der ersten Wege in das neue Club-Museum «FohlenWelt». Seinem berühmtesten Vorgänger zu entkommen, ist dort noch schwieriger als ohnehin schon bei Borussia.
Denn die Mönchengladbacher residieren seit einigen Jahren an der Hennes-Weisweiler-Allee 1. Rose war beeindruckt, als er einen ersten Überblick von der Wucht des Vereins erhielt, der vor Weisweiler ein Provinzclub war und seit den elf Jahren von 1964 bis 1975 bundesweit verehrt wird.
«Hennes Weisweiler war die Figur. Er hat Borussia Mönchengladbach gemacht», sagt Ex-Weltmeister Rainer Bonhof im Interview der Deutschen Presse-Agentur über den Mann, der am 5. Dezember 100 Jahre alt geworden wäre. Weisweiler und Günter Netzer – das sind bis heute die beiden berühmtesten Borussen, die auch im Club-Museum immer wiederkehrend geradezu ikonenhaft verehrt werden. Auch Netzer hat eine klare Meinung, wenn es um den wichtigsten Borussen geht. «Ich habe ihm alles zu verdanken», sagt der heute 75-Jährige der dpa. «Er hat Borussia Mönchengladbach gemacht, und er hat mich gemacht.»
Parallelen zwischen der Aktualität beim Bundesliga-Spitzenreiter und dem Zeitpunkt vor 55 Jahren, als Weisweiler den Club auf links drehte und auf Erfolg trimmte, sind vorhanden. Nach Jahren des Ballbesitzfußballs unter Lucien Favre und später Dieter Hecking erinnert der spektakuläre Rose-Stil mit Kontern und Umschaltspiel an die Zeit unter Weisweiler. Hinzu kommt die Gier nach Erfolg, die wieder vorhanden scheint. Gladbach führt seit gut zwei Monaten die Bundesliga an – das gab es zuletzt in den glorreichen 1970er Jahren. «Gladbach wird bis zum Ende oben in der Tabelle mitmischen und mindestens einen Champions-League-Platz erreichen», prophezeit in Lothar Matthäus bereits ein weiterer Ex-Borusse in einer Sky-Kolumne.
«Natürlich gibt es da immer mal wieder Parallelen zu anderen. Aber Hennes war einzigartig», sagt Bonhof, der wie die meisten Zeitzeugen in Gladbach Weisweiler verehrt: «Weisweiler steht da natürlich über allen.» Aus heutiger Sicht mag dies verwundern, denn Weisweiler war nun einmal Ur-Kölner. 1919 in Lechenich – im heutigen Erftstadt – vor den Toren Kölns geboren, war er 1948 gar Mitbegründer von Borussias heutigem Erzrivalen 1. FC Köln. Von dieser Rivalität war Mitte der 60er Jahre noch nichts zu spüren. Zu unbedeutend war die Borussia damals. «Ich würde behaupten: Er ist der eigentliche Vater dieses Derbys», sagt Bonhof über die heute größte Rivalität im deutschen Fußball neben der zwischen dem FC Schalke und Borussia Dortmund.
Nachdem Weisweiler Gladbach von der Regionalliga an die nationale Spitze geführt hatte, bläute er den Borussen zwei Dinge ein: Verlieren war verboten – und gegen Köln noch viel mehr. Aus Weisweilers Verbissenheit heraus entwickelte sich dieses besondere Verhältnis, das bis heute in der DNA beider Clubs gespeichert ist.
Weisweiler ist der Einzige, der bei beiden Rivalen als Club-Legende verehrt wird. Das Kölner Wappentier – der berühmte Geißbock – wurde schon 1950 nach ihm benannt. Zwischen 1976 und 1980 prägte er in Köln noch einmal die erfolgreichste FC-Zeit mit dem Pokalsieg 1977 und dem Double 1978. «Ich bin überzeugt: Wenn Hennes Weisweiler früher zum FC gekommen oder länger geblieben wäre, hätten wir mehr Titel geholt», sagt Ex-Nationalkeeper Toni Schumacher heute.
Noch größere Spuren hinterließ er aber eben in seinen elf Jahren am Niederrhein. Dort war er mit anarchisch anmutendem Angriffsfußball, einem Pokalsieg und einem UEFA-Cup-Triumph identitätsstiftend. Wegen des ungestümen Spiels wurde Borussia bald «Fohlen-Elf» genannt. «Der wollte immer nur rauf und runter, rauf und runter. Und nach 70 Minuten waren wir kaputt und die anderen haben gewonnen. Da habe ich mit ihm natürlich Auseinandersetzungen gehabt», sagt Netzer über Streitereien, die nur auf sportlich-inhaltlichen Dingen beruhten.
Alles andere gilt bis heute als Folklore im Verhältnis zwischen dem Fußball-Popstar und Disco-Besitzer Netzer und dem bodenständigen Weisweiler, der nächtelang in seinem damaligen Stammlokal «Zur Traube» in Korschenbroich-Kleinenbroich Skat kloppte. «Das ist das Ende», sagte Weisweiler, als er von Netzers Plänen zur Diskothek «Lovers Lane» erfuhr. In diese setzte der eigentlich gesellige Weisweiler nie einen Fuß. Netzer ließ er dennoch gewähren.
Anders war es später mit Johan Cruyff in Barcelona oder Wolfgang Overath beim 1. FC Köln, der erst Meister wurde, nachdem der Weltmeister von 1974 weg war. Weisweiler bekam dadurch seinen Ruf, nicht mit Stars zu können. «Ich denke, das ist ein Klischee», widerspricht Bonhof. «Er hat in Barcelona und in Köln wohl eher erkannt, dass der jeweilige Star über seinem Zenit war.»
Als Weisweiler am 5. Juli 1983 mit nur 63 Jahren starb, hielt Fußball-Deutschland kurz inne. Die Trauerfeier im Kölner Dom glich einem Staatsbegräbnis. Rund 20.000 Menschen sollen da gewesen sein. «Die Leute haben draußen auf der Domplatte gestanden», erinnert sich Bonhof. «Da waren dann alle da, all seine Mannschaften.» Ein Traum Weisweilers blieb unerfüllt: Einmal Bundestrainer zu sein.
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(dpa)