Entfremdung zwischen Fans und Profifußball

Hannover – Skandale und Korruption bei Verbänden, ausufernde Transfersummen, zunehmende Kommerzialisierung: Die Auswüchse des modernen Profifußballs widern einen Großteil der Fans immer mehr an. Vor allem die Ultras begehren auf – bis hin zu Gewaltexzessen in den Stadien.

Die Angst vor immer schlimmeren Krawallen wächst. Kurz vor dem Start in die neue Bundesliga-Saison sind bislang alle Warnungen und alle Hilferufe der Clubs ins Leere gelaufen. Spätestens seit den Ausschreitungen beim Skandalspiel Hansa Rostock gegen Hertha BSC im DFB-Pokal ist klar, dass der Fußball ein großes Problem hat.

Erst jetzt will der DFB das Gespräch mit den über die kommerziellen Auswüchse erbosten Ultras intensivieren. «Wir müssen im Dialog Vertrauen aufbauen, Missverständnisse ausräumen und gemeinsam klare Linien und Grenzen festlegen», sagte DFB-Chef Reinhard Grindel. Voraussetzung dafür: «Der Verzicht auf Gewalt.»

Bislang offenbarte sich das ganze Dilemma der Hilflosigkeit von Vereinen und Verbänden in deren Uneinigkeit. Schon vor dem Wochenende hatten Bundesliga-Vertreter vor einer Gewalt-Eskalation gewarnt. «Ich glaube, dass die gesamte Pokalrunde unter Beobachtung steht», hatte Hannovers Sportchef Horst Heldt gesagt. «Wir stehen insgesamt vor einer gewisser Problematik, die wir in den Griff bekommen müssen.» 

Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke warnte, «dass die Ultra-Szene stärker zusammenrückt». Sein Kollege Jörg Schmadtke vom 1. FC Köln wies darauf hin, «dass sich die Ultra-Gruppierungen bundesweit formieren. Da werden wir Antworten finden müssen.» Alle eint dabei die Forderung, dies gemeinsam mit dem DFB und der Deutschen Fußball Liga (DFL) in Angriff nehmen zu müssen.

Die Clubs stoßen an ihre Grenzen, vor allem im Umgang mit den gewaltbereiten Fans. Das machten die Ausschreitungen in Rostock deutlich. «Wenn man sieht, dass hier 1700 Polizisten und über 300 Ordner unterwegs waren, dass Spürhunde und HD-Kameras im Einsatz sind. Da wird im Bereich der Kontrolle alles getan, was getan werden kann. So etwas kann man sicher nur gesamtgesellschaftlich lösen, nicht allein als Drittligist», sagte Hansa-Chef Robert Marie nach der Randale beider Fangruppen aus Rostock und Berlin.

Die DFL-Reaktion auf die Hilferufe der Liga war bislang wenig erquickend. «Da müssen zunächst die Clubs vor Ort genau hinschauen und ihre Möglichkeiten konsequent einsetzen», sagte DFL-Chef Christian Seifert der «Bild am Sonntag». Genau dies verschlimmerte die Sache aber wohl eher.

In Hannover war das Problem besonders groß. Dort versucht der Club nun, den gewaltbereiten Teil der Ultras aus dem Stadion zu drängen. Die Proteste gegen die Clubführung um Martin Kind waren zuletzt völlig aus dem Ruder gelaufen und in Ausschreitungen bei einem Testspiel in England gegipfelt.

Der Dauerzwist mit den Fans zerstörte jegliche Euphorie beim Aufsteiger. Aus Protest gegen Kinds Pläne, die Anteilsmehrheit an der Profigesellschaft zu übernehmen, riefen die Fans zu einem Stimmungsboykott aus. Keine Gesänge und keine Anfeuerung von einem Großteil der Anhänger im Stadion eines Aufsteigers dürfte einmalig im deutschen Fußball sein, ist im Vergleich zur Gewalt aber harmlos.

Zumindest beim DFB gibt es nun ein Umdenken. Auf sogenannte Kollektivstrafen für Fans nach Krawallen soll vorerst verzichtet werden. «Bis auf Weiteres» wolle man «keine Sanktionen wie die Verhängung von Blocksperren, Teilausschlüssen oder Geisterspielen mehr», sagte DFB-Chef Grindel.

Kurz vor der Bundestagswahl im September dürfte dies populistische Reaktionen provozieren, die darin ein Einknicken vor den Ultras sehen. Dabei könnte dies tatsächlich der Einstieg in einen ernsthaften Dialog sein. Denn die sogenannten Kollektivstrafen für die gesamte Fanschar eines Clubs bei Verfehlungen weniger haben schon viele kritisiert.

Doch dies ist vielleicht das geringste Problem. Die Ursachen für die Wut der Ultras gehen tiefer und dürften auch nicht gemeinsam von DFL, DFB und den Clubs zu lösen sein. «Wir müssen die Entfremdung dieser Fans von den Vereinen verhindern», sagte HSV-Chef Heribert Bruchhagen.

Dabei ist die Entfremdung durch die ausufernde Kommerzialisierung kaum noch umkehrbar. Doch die Kritik scheint mit dem Wunsch nach sportlichem Erfolg der Clubs kaum vereinbar zu sein. «Wenn man 2017 Profifußball will, sind erhebliche finanzielle Mittel nötig», sagte DFL-Chef Seifert. «Man sollte den Menschen keinen Sand in die Augen streuen. Denn die Lücke zwischen der Kreisliga und einem 100-Mio-Transfer wird nie mehr geschlossen – weder durch die Clubs noch durch DFB oder DFL.»

Und Hoffnung auf eine endgültige Lösung des Gewalt-Problems gibt es auch nicht wirklich. «Die kleine Gruppe, die randalieren will, wird weiter randalieren», prophezeite Kind.

Fotocredits: Axel Heimken
(dpa)

(dpa)
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