Die RedTube-Affäre: Abgemahnt fürs Pornogucken
Im Dezember 2013 wurden zahlreiche deutsche Internetnutzer durch Anwaltsschreiben aufgeschreckt, die ihnen Urheberrechtsverletzungen durch das Anschauen von Videos auf dem Pornoportal RedTube vorwarfen und Schadensersatz forderten. Doch der ganze Vorgang steckt voller offener Fragen, die bis heute nicht komplett geklärt sind.
Abmahnungen für angeschaute Videos?
RedTube ist ein herkömmliches Videostreaming-Portal, vergleichbar mit YouTube, jedoch ausschließlich mit pornographischem Inhalt. Zwar stammen manche der Inhalte auf der Seite aus zweifelhaften Quellen, doch das reine Anschauen dieser Videos – im Gegensatz zum Herunterladen – ist nach deutschem Recht nicht strafbar. Die Begründung hierfür ist, dass keine Kopie des Films auf dem PC des Zuschauers gespeichert wird, dies wäre ansonsten eine illegale Vervielfältigung. Der Film wird lediglich während des Anschauens temporär im Arbeitsspeicher des PCs zwischengespeichert. Bisher wurde noch kein deutscher Internetnutzer für das reine Anschauen eines Streams rechtlich belangt und bis zum Bekanntwerden der Abmahnungen schien die Rechtslage auch völlig klar zu sein.
Die Abmahner und ihre Begründung
Rund zehntausend Internetnutzer erhielten Ende 2013 kostenpflichtige Abmahnschreiben der Rechtsanwaltskanzlei „Urmann + Collegen“ aus Regensburg im Auftrag ihres Mandaten, der bis dato unbekannten „The Archive AG“ aus der Schweiz. Den Abgemahnten wurde vorgeworfen, dass von ihren IP-Adressen aus einer von sechs Filmen aufgerufen wurde, an welchen The Archive die Rechte hält. Die etwas fadenscheinige Begründung für die Abmahnungen lautete, dass durch die Zwischenspeicherung der Filme in den Arbeitsspeicher sehr wohl eine Kopie erzeugt werden würde, auch wenn diese nur temporär sei.
Schnell begann sich die Geschichte im Internet, auch international, zu verbreiten. Empörung wurde laut. Und dann kamen Kritik und Anschuldigungen auf. Etwas war an der Sache faul.
Das Netzwerk der Abmahner
Bald wurden ernsthafte Fragen gestellt: Wer ist eigentlich diese Archive AG, die erst im März 2013 gegründet wurde und hält sie wirklich die Rechte an den abgemahnten Videos? Wie ist diese Firma mit der Rechtsanwaltskanzlei Urmann verbunden? Eine weitere unbeantwortete Frage stellt die Firma „itGuards Inc“ dar, welche angeblich die Software „ Gladll 1.1.3“ geschrieben hat, mit der die abgemahnten Benutzer ermittelt wurden. Das Unternehmen erwies sich als Briefkastenfirma im Silicon Valley. Noch merkwürdiger ist, dass diese Software von einer Anwaltskanzlei in München geprüft und zertifiziert wurde und das nur einen Tag nach der Gründung der Firma itGuards, ebenfalls im März 2013.
Alles in allem steht der ernste Vorwurf im Raum, dass es sich hierbei um ein komplexes Netzwerk an Scheinfirmen handelt, gegründet ausschließlich zu dem Zweck, sich an den Abmahnungen zu bereichern.
Wurden RedTube-Nutzer in eine Falle gelockt?
Die Anschuldigungen wurden noch schwerer: Mit technischen Tricks sollen die Abmahner Nutzer dazu gebracht haben, die entsprechenden Videos unabsichtlich aufzurufen. Hierzu sollen beispielsweise Schreibfehlerdomains wie „Retdube.de“ (Bitte zur eigenen Sicherheit nicht aufrufen!) so manipuliert worden sein, dass diese automatisch auf die Videos weiterleiteten. Wenn diese Anschuldigungen zutreffen, handelt es sich dabei sogar um ein strafbares Verhalten.
Die Abgemahnten wehren sich
Was in den nächsten Wochen und Monaten folgte, war eine Welle von Strafanzeigen und Ermittlungen gegen die beteiligten Unternehmen. Zu den Vorwürfen zählen u.a.: Falsche eidesstattliche Versicherungen, Urkundenfälschung, Betrug in besonders schweren Fällen, Nötigung und bandenmäßiger Computerbetrug. Die genannten Anzeigen werden derzeit noch von den Gerichten verhandelt. Abschließende Urteile wurden bisher noch nicht gefällt.
Der Ausgang der Affäre ist bislang noch völlig offen. Doch offensichtlich sehen sich die Abmahner in der Defensive: Während eines Gerichtstermins vor dem Amtsgericht Potsdam am 09. April, erschien kein einziger Beteiligter der Kanzlei Urmann. Aus diesem Grund fällte das Gericht ein Versäumnisurteil zu Ungunsten der Kanzlei. Die Massenabmahnungen wurden somit als unrechtmäßig erklärt. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Es kann noch Einspruch eingelegt werden.
Weitere Entwicklungen in der Affäre werden sicherlich folgen.
Foto: Thinkstockphotos, iStock, Natalia Silych
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