Die Olympia-Heldin und der Rio-Blues
Rio de Janeiro (dpa) – Auch mit 54 hat sie noch eine tadellose Figur, braun gebrannt, der Strand ist sozusagen ihr Wohnzimmer. Jackie Silva ist etwas verspätet. «Der Verkehr, viele Umleitungen wegen Olympia».
Die Goldmedaille hat zu Hause einen Ehrenplatz in einem Schrank, hier am Strand in Rios Stadtteil Ipanema kennt sie fast jeder. Denn sie hat Historisches geschafft. Als erste Frau Gold für Brasilien geholt.
Das war 1996 in Atlanta, zusammen mit Sandra Pires gewann Jacqueline Louise Cruz Silva das Beachvolleyball-Finale, ein Jahr später wurden sie auch Weltmeister. Silva ist Mitglied der Volleyball Hall of Fame. Schon 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles war sie bei Olympia dabei, damals als Mitglied der Hallen-Volleyballnationalmannschaft.
Weil sie nach dem Olympiasieg über zwei Stunden bei der Dopingprobe festhing, verpasste sie die Party, dafür gab es am nächsten Tag nach der Rückkehr in ihre Heimatstadt Rio de Janeiro eine Triumph-Fahrt vom Flughafen, wie eine Volksheldin feierten sie Zehntausende Menschen. Als Hommage an ihren Triumph wurde sie für den finalen olympischen Fackellauf durch Rio auch als eine der Trägerinnen ausgewählt.
«Ich bin irritiert über das Rio-Bashing», sagt sie mit Blick auf die internationale Berichterstattung. So werde weiterhin viel über eine große Zika-Bedrohung diskutiert, aber im Moment gebe es wie von den Organisatoren prophezeit kaum Moskitos, das Risiko einer Infizierung sei sehr gering. Auch das Sicherheitsthema müsse man differenziert betrachten. Rio habe zwei Gesichter. Das Rio der Favelas im Norden, wo Drogenbanden und Polizei sich Schießereien liefern, vor Olympia hat im Zuge von «Aufräumarbeiten» die Gewalt deutlich zugenommen.
Aber hier an den Stränden, bei den Olympia-Stätten sei es sicher. «An welchem Ort der Welt fühlt man sich heute hundertprozentig sicher?» Und die Pannen und Mängel im Olympischen Dorf? «Ja, die werden als Beleg genommen, Rio sei mit Olympia überfordert.» Aber früher gab es auch große Mängel, die Unterbringung sei sehr spartanisch gewesen.
Jeden Morgen spielt sie erst unter Hochdampf 40 Minuten selbst, dann wechselt sie nach links auf das Feld und gibt Unterricht. Sie war zur aktiven Zeit eine kleine Rebellin. Weil das Männer-Nationalteam mit viel Geld gefördert wurde, die Frauen-Mannschaft hingegen nicht, trainierte sie mit einem verkehrt herum angezogenen Nationaltrikot.
Das führte schließlich zum Ausschluss, 1986 ging sie frustriert in die USA, nach Kalifornien. Dort startete sie mit Gleichgesinnten als Pionierin das professionelle Beachvolleyball, 1996 wurde es olympisch – und sie holte das erste Damen-Gold. Silva bekennt sich zu ihrer Homosexualität. «Der Rauswurf aus dem Nationalteam war schlimmer als die Vorurteile.» 2014 heiratete sie die Tänzerin Amália Lima. Für homosexuelle Männer sei es schwieriger, «vor allem für Fußballer».
Als Tattoo trägt sie am Unterarm das griechische Mythologiewesen Pegasus, Kind des Meeresgottes Poseidon. Das passt irgendwie, die meisten Stunden verbringt sie hier am Atlantik. Daneben hat sie noch ein Sozialprojekt in einer Schule, wo sie Volleyball-Training gibt.
Und während Olympia ist sie natürlich im 12 000 Zuschauer fassenden Beachvolleyballstadion im Strand an der Copacabana im Einsatz, sie moderiert für den Sportsender ESPN. «Rio ist ein Ort des Feierns und des Sport», sagt sie. «Aber Olympia kommt zum falschen Zeitpunkt. Die politische Krise hat die Leute heruntergezogen.» Korruptionsskandale, Rezession, die Suspendierung von Staatspräsidentin Dilma Rousseff.
Immerhin werde nach den Spielen der Olympiapark zu einem großen Schul- und Leistungssportzentrum, auch mit mehreren Beachvolleyballfeldern. Es sei wichtig, professionellere Spitzensportstrukturen zu schaffen.
Sie hofft, dass Rio der Welt zeigt, dass es Olympia kann. «Es ist ein magisches Ereignis, die gesamte Sportelite der Welt trifft sich.» Bis in die 1990er-Jahre sei es aber noch überschaubar gewesen. «Danach ist alles nur noch immer größer geworden.» Das komme nun an ein Ende, es sei kaum noch zu organisieren. «Rio wird ein Wendepunkt sein.»
Fotocredits: Peter Bauza
(dpa)