Die gelben Helden von Rio
Rio de Janeiro – Da steht sie, Bruna Urtiga, hinter sich das nächtliche, leere Beachvolleyballstadion. Die olympischen Ringe, das Meer rauscht. Kein schlechter Arbeitsplatz für eine 19-Jährige.
Sie ist hier dafür zuständig, dass die Freiwilligen, die Volunteers, aus aller Welt rechtzeitig zum Dienst kommen, nicht über acht Stunden am Tag arbeiten und Essen bekommen.
Probleme bei der Organisation? «Klar, aber wir hier wissen selbst am besten, dass vieles in Rio nicht perfekt ist. Der Verkehr in Rio ist schrecklich», sagt die waschechte Carioca, wie sich die Einwohner Rios nennen. «Vielleicht ist Olympia eine Nummer zu groß für Rio.» Wieder neigt sich ein Olympiatag dem Ende zu, ohne sie hier, die stillen Helferhelden von Rio in ihren gelben Shirts, bräche vieles zusammen.
Die Leute, die sie hier treffe, seien mehrheitlich happy, würden sich auf den südamerikanischen way of life einlassen. Für Bruna war klar, sie will bei Olympia helfen, ihrem Traum. «Wahnsinn, wen man alles hier trifft, alles so international.» Drei Wochen Training gab es. Rund 50 000 Volunteers wurden am Ende genommen, aus Finanzgründen fast 20 000 weniger als zunächst geplant.
Sie bekommen den gelben Rio-2016-Anzug, grüne Turnschuhe, eine Uhr, eine Tasche. Keinen Lohn, Unterkunft und Anreise sind selbst zu tragen, aber Essen und Trinken bei der Arbeit.
Beispiel Metro. Rio ist keine Stadt der einfachen Wege, schon gar nicht der logischen Beschilderung. So stehen sie hier mit Megafonen, sitzen in Schiedsrichterstühlen, um mit großen Plastikhänden in die richtige Richtung zu weisen. Irgendwie charmant, wie sie immer lächelnd das Chaos orchestrieren.
Aber es gibt auch die Schattenseiten. Die Zeitung «Folha de São Paulo» will herausgefunden haben, dass 30 Prozent der 50 000 Helfer – das wären 16 000 – den Dienst aus Frust quittiert haben.
Nun schreibt Folha tendenziell schlecht über die Rio-Spiele, man darf die Stadt-Konkurrenz São Paulo-Rio nicht unterschätzen. Rio-2016-Sprecher Mario Andrada räumt Probleme ein. Aber: «Die Zahl der angetretenen Freiwilligen ist nie unter eine Marke gefallen, dass es ein Notfall gewesen wäre.»
Vor allem an den ersten drei Tagen hätten viele aufgegeben, weil sie sich nicht von verärgerten Besuchern hätten beschimpfen lassen wollen. Das ist in der Tat leider häufiger zu beobachten – Besucher schnauzen 18,19 Jahre alte Olympia-Helfer an, wollen Absperrungen durchbrechen. Dabei können die Volunteers wirklich nichts für Pannen.
Die Freiwilligen kommen aus 156 Ländern, nach Brasilien die meisten aus den USA, Großbritannien und Russland. Ein Venezolaner hat sich drei Tage durch das Amazonasgebiet mit Bussen und vielen Abenteuern bis Rio durchgeschlagen, angekommen ohne Geld, aber beseelt vom Olympiatraum. Rund 400 Freiwillige aus Deutschland sind dabei.
Einer davon ist ein ganz besonderer: 28 Jahre nach Olympia-Gold im Vierer ohne Steuermann ist Ruderer Thomas Greiner wieder bei Olympia – als motorbootfahrender Volunteer auf der Lagoa Rodrigo de Freitas. «Das ist ein scheiß gutes Gefühl. Man hat das alles selbst erlebt, was die Sportler durchmachen. Vier oder fünf Weltmeisterschaften sind kein Ersatz für eine Olympia-Teilnahme», sagt der 53 Jahre alte Dresdner in Rio de Janeiro und muss vor lauter Rührung schlucken.
Mit dem Boot chauffiert er Helfer, Leute des Ruderweltverbands oder Mitarbeiter des Olympic Broadcast Service. «Ich helfe, wo ich gebraucht werde. Und wenn nichts zu tun ist, will ich die Spiele genießen.» In Seoul holte er 1988 Gold für die DDR. Nun in Brasilien das bedeutendste Sportereignis der Welt aus einem anderen Blickwinkel noch einmal erleben zu dürfen, «ist etwas ganz Besonderes».
Daniel Frank ist auch auserwählt worden – und hatte am Eröffnungstag an der Copacabana erst einmal eine besondere Begegnung, umringt von Kamerateams. Er hat in Tübingen Sportmanagement studiert, ein Auslandsemester in Mexiko absolviert und dort drei Jungs getroffen, die mit dem Rad von München nach Rio unterwegs waren. Er radelte ein Stück mit, nun rollen die drei Kumpels punktgenau an der Copacabana ein, nach 28 432 Kilometern und 467 Tagen. Ein großes Hallo. «Ich war schon 2014 zur Fußball-WM hier, da war klar, zu Olympia muss ich auch hier sein», erzählt Frank. «Ich habe mich in diese Stadt verliebt.»
Das Fest der Jugend, der Begegnung – als Freiwilliger kann man Spitzensport ganz nah miterleben. Frank kann portugiesisch, spanisch, englisch, deutsch. Das war wohl der Grund, warum er ausgewählt wurde. Man müsse entspannt bleiben, nicht europäische Standards zum Maßstab machen. Per Online-Schalte war er im Bewerbungsgespräch mit Leuten von anderen Kontinenten verbunden.
Er ist in Rio als Übersetzer für das usbekische Team zuständig. Als der Boxer Hasanboy Dusmatov im Halbfliegengewicht Gold holt, ist der Jubel groß. Frank kam so auch schon zum Tennis, einen Abstecher in das Leichtathletikstadion gab es auch. «Das Coole ist, im olympischen Dorf trifft man in zehn Minuten fünf, sechs verschiedene Kulturen.» Man ist plötzlich mittendrin. Und fühlt sich wie auch Bruna Urtiga als Teil der olympischen Familie.
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(dpa)