Der TÜV wird verklagt – Das hat es damit auf sich
Hunderttausende Brustimplantate mit minderwertigem Industriesilikon wurden unwissenden Patientinnen eingesetzt. Der Gründer der Herstellerfirma PIP wurde 2013 für schuldig erklärt und zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Das Prüfsiegel des TÜVs, der die Qualität auch von Medizinprodukten testet und sein vertrauenswürdiges, europäisches Prüfsiegel CE vergibt, steht nun in der Kritik. Der TÜV soll nach dem Willen der vielen tausend Klägerinnen Schadensersatz und Schmerzensgeld zahlen. Doch ist keinesfalls abschließend rechtlich entschieden, welche Pflichten und damit verbundene Schuld der TÜV eigentlich hat.
Das Problem der Brustimplantate
Brustimplantate werden in der Schönheitschirurgie neben der reinen Brustvergrößerung aus ästhetischen Gründen auch nach Brustamputationen eingesetzt. Nach einer erfolgreichen Brustkrebsbehandlung oder aber nach einer Amputation zur Brustkrebsrisikominimierung muss das natürliche Gewebe entfernt werden. Zur Reduktion der psychischen Belastung und zur Wiedererlangung des alten Lebensgefühls werden Implantate unter die Haut beziehungsweise den Muskel eingesetzt. Diese sind entweder mit einer Kochsalzlösung oder mit einem speziellen Medizinsilikon gefüllt.
Die Implantate der international handeltreibenden, französischen Firma PIP waren nur mit billigem Industriesilikon ausgestattet. Wenn diese Kissen rissen, was vermehrt geschah, gelangte der Inhalt in das umliegende Gewebe und verursachte so Entzündungen und Brustverhärtungen. Daher wurde den betroffenen Patientinnen unlängst dazu geraten, die schadhaften und gefährlichen Implantate durch eine erneute OP ersetzen zu lassen.
Mangelhafter Verbraucherschutz
Ob den TÜV eine Mitschuld trifft, muss nun vom EuGH entschieden werden. Bisherige Urteile der Vorinstanzen in den Oberlandesgerichten erkannten keine Verletzung der Prüfpflichten des TÜVs. Die Richter urteilten, dass dieser ausschließlich für die Kontrolle des Qualitätssicherungssystems der einzelnen Hersteller zuständig sei und nicht, wie allgemein in der Bevölkerung angenommen, die Qualität der Produkte selbst testet. In Frankreich hingegen wurde der TÜV bereits aufgrund seines Versagens verurteilt. Bisher ist nicht absehbar, wann mit einem Beschluss des EuGH zu rechnen ist.
Dennoch ist der Skandal am Medizinprodukterecht nicht spurlos vorbeigegangen und so sind überfällige Änderungen zur Sicherung des Verbraucherschutzes zumindest im Gespräch. Unter anderem sollen unangekündigte Kontrollen (UAA) bei den Medizinprodukte-Herstellern zukünftig anerkannt und regelmäßig durchgeführt werden. Weitere Verbesserungen sind im Gespräch und so bleibt abzuwarten, inwieweit diese zeitnah durchgesetzt werden können. Mehr zum Medizinprodukterecht erfahren Sie auch bei Kramer & Partner.
Vertrauen wurde zerstört
Der Skandal um die minderwertigen Silikonimplantate hat nicht nur das Vertrauen in die ökonomisch handelnden Hersteller zerstört, sondern vor allem in die Verlässlichkeit von Prüfsiegeln, die dem Verbraucherschutz dienen. Das elementare Anliegen der Verbraucher in die Gewährleistung qualitativer Standards kann nur durch ein funktionierendes, verlässliches Prüfsystem und – siegel bereitgestellt werden. Daher ist es nach wie vor für viele unfassbar, dass bei Herstellern bisher nur angekündigte Tests durchgeführt wurden. Darüber hinaus hat das mangelnde Schuldverständnis des TÜV und dessen Weigerung, für sein Handeln Verantwortung zu übernehmen, vielleicht mehr Schaden verursacht als der Skandal selbst.
IMG: Thinkstock, iStock, poplasen
Werbung