Der Sinn und Unsinn großer Skigebiete
Ischgl/St. Anton – Den letzten Lift auf den Gipfel zu verpassen, kann in Ischgl unangenehme Folgen haben. Das Skigebiet erstreckt sich über beide Seiten einer Bergkette an Österreichs Grenze zur Schweiz. Über die Gipfel wenige Kilometer Luftlinie, sind es auf der Straße knapp 80 Kilometer bis nach Samnaun im Nachbarland.
Blöd also, wenn man auf der falschen Seite strandet – auch wenn an jedem Lift deutlich der Zeitpunkt der letzten Bergfahrt vermerkt ist. Doch nicht nur in dem Tiroler Riesenskigebiet mit seinen mehr als 230 Pistenkilometern besteht das Risiko, ungewollt am falschen Ende zu landen und nicht zurückzukommen – das kann auch anderswo passieren.
Unterwegs im alpinen Wirrwarr
Viele Skigebiete in den Alpen erstrecken sich über mehrere Gipfel und Täler. Mancher Skifahrer dürfte sich beim Blick auf die Pistenkarten von Riesenresorts wie Ski Arlberg (Österreich), 4 Vallées (Schweiz) und Les Trois Vallées (Frankreich) fragen, wie er bitteschön ohne Navi in diesem alpinen Wirrwarr nicht verloren gehen soll.
Doch Pistenvielfalt zieht und ist für viele Urlauber der wichtigste Entscheidungsgrund für ein Alpenziel. Dabei dürften viele, die an einem Ende des Skigebiets unterkommen, das andere Ende realistischerweise nie zu Gesicht bekommen. Wer es doch versucht, muss sich sputen – oft geht es nur auf direktem Weg. Zwischendurch mal andere Pisten links und rechts der Route zu fahren oder gemütlich in einer Hütte einzukehren, ist nicht drin.
Größe des Skigebiets als Statussymbol
Am Ende geht es vielen gar nicht darum, jeden Winkel eines Skigebiets zu erkunden, glaubt Oliver Kern vom Portal Skiresort.de: «Die Leute wollen große Skigebiete, auch wenn sie nicht alles fahren wollen.» Aus Kerns Sicht ist die Größe des Skigebiets für viele eine Art Statussymbol: «Sie wollen eben sagen können, dass sie am Arlberg waren oder im Skicircus Saalbach Hinterglemm.»
Der Skicircus, noch so ein Gigantenresort. Mehrere Täler, 270 Pistenkilometer. Und bald wohl noch größer: Pläne sehen vor, dass sich der Skicircus mit Zell am Sees Schmittenhöhe verbindet – damit wären es 347 Pistenkilometer, die man sich auf Skiern erfahren kann.
Wer nutzt die Pistenvielfalt aus?
Die Skigebiete beharren auf ihrer These: Gerade Gäste, die länger vor Ort sind, schöpften die Pistenvielfalt aus, teilt zum Beispiel Ski Arlberg mit. Für sportlichen Skifahrer sei es gut machbar, an einem Tag von einem Ende des Verbundes zum anderen und zurück zu kommen.
Wer es darauf anlegt, ein Riesenskigebiet einmal hin und zurück zu durchkreuzen, muss auf jeden Fall gut planen. Auf den guten Willen der Seilbahnbetreiber können falsch kalkulierende Wintersportler nicht hoffen: «Manche Lifte werden nicht auf die Minute schließen, wenn man mal etwas zu spät da ist», schätzt Kern. «Aber am Ende stehen überall Schilder da, wann die letzten Bahnen fahren. Und da muss jeder Skifahrer selber gucken, dass er rechtzeitig zurückkommt.»
Bus und Taxi statt Seilbahn und Lift
Gäste könnten im Notfall auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen, erläutert Ski Arlberg. Auch wenn dies aufgrund der Wintersperre der Lechtalstraße zwischen den Orten «etwas umständlich» sein könne. Wer zum Beispiel in Warth hängenbleibt und zurück nach St. Anton möchte, muss eine Fahrt von 105 Kilometern in Kauf nehmen.
Auch wenn das ungewollte Stranden am falschen Ort am Ende wenigen Skifahrern tatsächlich widerfahren wird – es wirft ein Schlaglicht auf Sinn und möglicherweise auch Unsinn hinter großen Skigebieten.
Oliver Kern, der nach eigenen Angaben schon 900 Resorts weltweit befahren hat, geht bei seiner persönlichen Auswahl nicht nur nach Pistenkilometern. «Das ist ein Kriterium, aber eben nicht alles.» Viele Skigebiete punkten eher mit Funparks oder Familienangeboten.
Fotocredits: Bernhard Krieger,Robert Günther,Oliver Kern,Florian Schuh
(dpa/tmn)