Das komplette Orchester im Schrank
Beeskow – Wer durch die Schaufenster der früheren Kaufhalle im Zentrum von Beeskow (Oder-Spree) blickt, glaubt zunächst an einen Antiquitätenhandel: Große, altmodische Möbelstücke mit verschnörkelter oder verspiegelter Fassade und geschnitzten Füßen sind zu erkennen.
Was tatsächlich in ihnen steckt, erkennt nur, wer eintritt. Dann demonstriert Thomas Jansen per Knopfdruck, Geldeinwurf oder Kurbeldreh die Musikalität der unförmig erscheinenden Konstruktionen: Mittels ausgeklügelter Mechanik inklusive erzeugtem Unterdruck spielen die teilweise 100 Jahre alten Instrumente wie von selbst.
Jansens ganzer Stolz ist ein etwa drei Meter hohes Jazz-Sinfonie-Orchestrion im Schrank, einst gebaut von der Leipziger Firma Hupfeld für Wirtshäuser oder wohlsituierte Haushalte. «Nach 1900 waren sie die einzige Möglichkeit, sich Musik ins eigene Haus zu holen, wollte man nicht eine ganze Kapelle bezahlen», erklärt er. Das Ding, was da so mitreißend Schlager-Musik aus den goldenen Zwanzigern macht, vereint in seinem Inneren quasi ein ganzes Orchester mit Schlagzeug, Orgelpfeifen, Triangeln, Glocken, Becken und Klavier.
«Diese mechanischen, selbst spielenden Wunderwerke muss man in Aktion erleben, nur ausstellen allein reicht nicht», schwärmt Jansen. Seit 40 Jahren sammelt und repariert der 62-Jährige die in Vergessenheit geratenen Orchestrions, Trompetenorgeln, automatischen Klaviere, aber auch Leierkästen, Grammophone und Spieluhren.
In Monschau (Nordrhein-Westfalen) hatte der gebürtige Aachener ein eigenes Museum, wollte sich aber eigentlich zur Ruhe setzen. Inzwischen ist er vom äußersten Westen Deutschlands mit seiner Sammlung in den tiefsten Osten gezogen. «Es ist ein Riesenaufwand, aber ich bereue diesen Schritt nicht», sagt Jansen, der in der Oder-Spree-Region noch nach einem passenden Häuschen für sich sucht.
Die Stadt Beeskow hat den Großteil seiner knapp 200 Instrumente sowie rund 1600 Tonträger und Notenrollen umfassenden Kollektion für rund 400 000 Euro gekauft und erhofft sich einen neuen Touristenmagneten. Schon zu Jahresbeginn hätte das Musikmuseum mit den tonnenschweren Instrumenten auf der Burg Beeskow öffnen sollen. Doch als Statiker die Gewölbedecken überprüften, stellten sie einen aufwendigen Sanierungsbedarf fest.
«Die Burg ist das älteste Gebäude der Stadt, Schäden sieht man erst bei genauerer Betrachtung», sagt Bürgermeister Frank Steffen (SPD). Die unerwartete Baustelle habe ihm schon einige «schlaflose Nächte» beschert, bekennt er. Doch das Projekt
«Musikmuseum» sei richtig für die Burg, die einerseits das DDR-Kunstarchiv beherbergt, als Ausstellungszentrum allerdings viele Standbeine braucht, meint der Bürgermeister, der auch Vorsitzender des Fördervereins «Musikmuseum» ist. Weil es nun mit dem Museum auf der Burg wohl erst im nächsten Jahr etwas wird, hatte die Stadt eine Zwischenlösung gesucht und mit dem Geschäft in der Innenstadt gefunden.
Auch Jansen ist zufrieden, obwohl er auf 350 Quadratmetern Ausstellungsfläche lediglich 65 Instrumente zeigen kann. Aber immerhin hat er angrenzende Werkstatträume. Denn der 62-Jährige repariert die Instrumente auch für andere Sammler und Museen.
Ursprünglich hatte er mit Anfang 20 Elektrotechnik sowie Fotografie studiert. Dann aber fiel ihm durch Zufall ein ramponiertes, automatisches Klavier in die Hände. «Das sah so ähnlich aus, wie dieses hier», sagt er und klappt den Deckel eines Violinen-Orchestrions auf. Dessen verdreckten Tasten sind bereits dabei, sich in ihre Einzelteile aufzulösen. Das Innere ist leer und liegt auf Jansens Werkzeugbank.
Dass er die fast vergessenen, besonderen Instrumente wieder zum Klingen bringen kann, sprach sich schon damals schnell herum. Im Nu hatte der Aachener viel Arbeit. «Mein eigentliches Studium habe ich nie abgeschlossen», bekennt er. Einige Jahre hat der Autodidakt später in den USA gearbeitet. «Dort befinden sich mittlerweile die größten Sammlungen selbst klingender, mechanischer Musikinstrumente, die eigentlich so eine typisch, deutsche Spezialität sind.»
Fotocredits: Patrick Pleul,Patrick Pleul,Patrick Pleul
(dpa)