Das Betreuungsgeld ist vom Tisch – oder doch nicht?
/Kaum ein Projekt der schwarz-roten Bundesregierung war so umstritten wie das Betreuungsgeld. Eine Stärkung der Wahlfreiheit für Eltern nennt es die CSU, „Herdprämie“ riefen die Kritiker. Doch schließlich stand das Betreuungsgeld im Koalitionsvertrag, und die sozialdemokratische Familienministerin Schwesig musste das ungeliebte Gesetz umsetzen. Nun ist es vom Tisch.
Das Urteil vom 21. Juli
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in seinem Urteil vom 21. Juli 2015, dass dem Bund die Kompetenz fehle, ein Betreuungsgeld einzuführen. In seiner jetzigen Form verstößt das Betreuungsgeld daher gegen das Grundgesetz, es ist verfassungswidrig.
Damit geben die Richter der Landesregierung von Hamburg Recht. Sie hatte beim Bundesverfassungsgericht gegen das Betreuungsgeld geklagt, weil sie sich in ihrer Familienpolitik der Frühförderung beeinträchtigt sah. Der Bund hatte das Betreuungsgeld im Sommer 2013 eingeführt.
Zahlen und Fakten
Trotz aller Debatten ist das Betreuungsgeld in der Bevölkerung inzwischen akzeptiert: Zurzeit erhalten 455.300 Familien 150 Euro im Monat dafür, dass sie ihre Kleinkinder ab dem zweiten Lebensjahr und bis zum dritten Geburtstag selbst betreuen oder die Betreuung privat organisieren. Das Betreuungsgeld wird in Bayern und Baden-Württemberg besonders stark in Anspruch genommen, dort ist der Anteil mit über 60 Prozent aller Eltern von Kleinkindern am höchsten.
Aber auch in NRW sind viele Familien betroffen: Im bevölkerungsreichsten Bundesland beziehen über 100.000 Mütter und Väter das Betreuungsgeld, fast jedes zweite Elternpaar. Im Osten der Republik dagegen wird das Betreuungsgeld kaum nachgefragt: Weniger als 25 Prozent der berechtigten Familien erhalten Betreuungsgeld, in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt sogar unter zehn Prozent. Das ergaben Berechnungen des „Spiegel“.
900 Millionen Euro hat der Bund für das Betreuungsgeld sind im laufenden Jahr 2015 eingeplant, für die nächsten beiden Jahre steht sogar jeweils eine Milliarde Euro im Haushaltsentwurf.
Praxistipps für Eltern
Was bedeutet das Urteil für Familien?
- Familien müssen generell keine Rückzahlung befürchten, das Urteil des Verfassungsgerichts hat keine Rückwirkung.
- Es gibt keine Übergangsfrist, die Entscheidung gilt ab sofort.
- Vertrauensschutz gilt nur für die Familien, die bereits einen Bescheid erhalten haben. Bisherige Bezieher erhalten wohl eine Weiterzahlung. Offen allerdings noch, für wie lange. Familienministerin Schwesig will sie für Weiterzahlung bis zum Ende der Bewilligung einsetzen.
- Wer einen Antrag gestellt hat, aber noch keine Bewilligung erhalten hat, wird keine Geld mehr erhalten, der Vertrauensschutz gilt erst ab dem Bescheid.
- Möglich wird ein Bezug erst dann, wenn einzelne Länder wieder ein Betreuungsgeld einführen.
Wie geht es weiter?
- Die CSU verspricht den Eltern in Bayern, das Betreuungsgeld weiterzuzahlen und erwartet dafür Geld vom Bund.
- Familienministerin Schwesig möchte die freiwerdenden Mittel in den Kita-Ausbau stecken, auch Wissenschaftler und der Städtebunden fordern einen weiteren Ausbau der frühkindlichen Betreuung in Kitas.
Allerdings sind die vielen Eltern, die zurzeit Betreuungsgeld erhalten, auch in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen enttäuscht. Die Debatte geht also weiter.