Chaos vor allem in Paris befürchtet
Paris – Frankreich rüstet sich mit einem riesigen Sicherheitsaufgebot für Streik, der das gesamte Land lahmlegen könnte. Allein in der Hauptstadt werden an diesem Donnerstag 6000 Polizisten im Einsatz sein, kündigte der Pariser Polizeipräsident Didier Lallement an.
Zum «Generalstreik» gegen die Rentenform haben zahlreiche Gewerkschaften aufgerufen. Züge, Metro, Bus – alles soll weitestgehend stillstehen. Aber auch an Schulen, im öffentlichen Dienst, in Krankenhäusern oder der Justiz soll die Arbeit niedergelegt werden. Die Behörden rechnen bei Demonstrationen in Paris wieder mit heftigen Ausschreitungen.
Der Zugverkehr in ganz Frankreich ist mindestens am Donnerstag massiv gestört. Die französische Bahngesellschaft SNCF hat angekündigt, dass nur einer von zehn Schnellzügen TGV fahren werde. Bei Regionalzügen sieht es ähnlich aus. Auch der Bahnverkehr nach Deutschland wird weitestgehend lahmgelegt. Mindestens 20 Prozent der Flugzeuge bleiben am Boden. Besonders schwerwiegend wird die Situation wohl in Paris. Auf der Mehrzahl der Metrolinien ist der Verkehr eingestellt. Auch Busse und Trams fahren nur extrem eingeschränkt.
Auswirkungen auf Reisende aus Deutschland
Der Generalstreik in Frankreich hat auch Auswirkungen auf Reisende aus Deutschland. An Streiktagen fänden im Fernverkehr keine Zugfahrten von und nach Frankreich statt, teilte die Deutsche Bahn mit. Betroffen seien die ICE-Verbindungen von Frankfurt über Mannheim und Saarbrücken nach Paris sowie von München über Stuttgart und Straßburg nach Paris, ebenso die TGV-Verbindung Frankfurt-Mannheim-Straßburg-Marseille. Dies gelte in jedem Fall für diesen Donnerstag. Wie es in den kommenden Tagen weitergehe, sei noch unklar, sagte ein Sprecher.
Die Bahn rief Reisende auf, sich im Internet zu informieren und bot eine kostenlose Umbuchung an. Das Unternehmen rechnet eigenen Angaben zufolge damit, dass der Streik mehrere Tage andauern könnte.
Auch die Lufthansa rief Frankreich-Reisende auf, sich im Internet zu informieren. Für diesen Donnerstag wurden nach Angaben eines Sprechers neun Flüge gestrichen – unter anderem nach Paris, Lyon und Marseille. Betroffene Passagiere würden benachrichtigt.
Die massiven Streiks in Frankreich treffen Paris-Touristen:
Das Wahrzeichen der Hauptstadt, der Eiffelturm, bleibt am Donnerstag geschlossen. Wie die Betreibergesellschaft Sete mitteilte, gibt es nicht ausreichend Personal, um die Touristenattraktion an der Seine zu öffnen.
Der 130 Jahre alte Turm wird jährlich von rund sieben Millionen Menschen besucht. Die «dame de fer» (Dame aus Eisen), wie das Monument in Frankreich auch genannt wird, wurde für die Pariser Weltausstellung gebaut und 1889 fertiggestellt.
Große Pariser Museen wie der Louvre hatten bereits vor den Streiks vor möglichen Einschränkungen für Besucher gewarnt. Das Impressionisten-Museum Musée d’Orsay bestätigte via Twitter, es bleibe geschlossen.
Es wird einer der größten Streiks der vergangenen Jahre erwartet, der Frankreich komplett lahmlegen könnte. Grund ist eine geplante Rentenreform. Auch Mitarbeiter des Energiekonzerns EDF, die Müllabfuhr, Anwältinnen, Polizisten, Bodenpersonal an Flughäfen und Studenten wollen auf die Straße gehen. Auch wenn der Streik branchenübergreifend ist, wird nicht die gesamte Arbeiterschaft des Landes die Arbeit niederlegen.
In ganz Frankreich sind nach Angaben von Innenminister Christophe Castaner 245 Demonstrationen angemeldet. In Paris soll es einen großen Demonstrationszug geben. Aus Sicherheitsbedenken hat die Polizei Ladenbesitzer an der Demoroute aufgefordert, ihre Geschäfte und Restaurants nicht zu öffnen. «Wir wissen, dass der radikale schwarze Block und «Gelbwesten» beschlossen haben, an den Demonstrationen in Paris teilzunehmen», sagte Castaner. Die Behörden rechnen mit Krawallen.
Doch was ist der Grund für den riesigen Streik?
Die geplante Rentenreform treibt die Menschen auf die Straße. Sie gilt als wichtigste Sozialreform von Staatschef Emmanuel Macron. Das neue System soll die Zersplitterung in Einzelsysteme für bestimmte Berufsgruppen beenden und somit solidarischer sein. Arbeitnehmer sollen auch dazu gebracht werden, länger zu arbeiten.
In Frankreich gibt es neben der allgemeinen Rentenversicherung, in die die Mehrheit der Franzosen einzahlt, zahlreiche Sonder- und Ausnahmeregelungen. Etliche Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes aber auch anderer Berufsgruppen sind Mitglied in einem der 42 Einzelsysteme, die besondere Privilegien mit sich bringen. Sonderregelungen gelten etwa für Mitarbeiter der Staatsbahn SNCF, der Strom- und Gaswirtschaft, des Militärs, von Krankenhäusern aber auch für Seeleute, Anwälte, Freiberufler oder Angestellte der Pariser Oper.
Diese Sonderrentensysteme werden vom Staat bezuschusst – nach ihnen richtet sich oft auch, wann jemand in Rente geht. So können Bahnfahrer der Pariser Nahverkehrsgesellschaft RATP schon Anfang 50 in Rente gehen, oft jedoch nicht mit vollen Bezügen. Das normale Renteneintrittsalter liegt in Frankreich bei 62 Jahren. Je nach System fallen die Renten recht üppig aus. Viele sorgen sich, dass sie im Zuge der Reform weniger Rente bekommen werden. Die Gewerkschaften argumentieren, dass das neue einheitliche System den unterschiedlichsten Berufsgruppen nicht gerecht wird.
Denn die Reform soll die Sonderregelungen beseitigen. Künftig soll es ein Punktesystem geben, das sich nach der Dauer der Beitragsjahre richtet, so der Vorschlag. Das neue System soll von 2025 an eingeführt werden. Gewerkschaften fordern aber eine sogenannte Großvaterklausel. Demnach wären nur Berufseinsteiger von den Neuregelungen betroffen. Die Regierung spricht sich dagegen aus.
Ähnlich wie nach den «Gelbwesten»-Protesten gibt es in den Regionen nun Bürgerdebatten mit Regierungsvertretern. Die endgültigen Entscheidungen zur Reform sollen noch bekanntgegeben werden. Die Regierung strebt eine Parlamentsabstimmung vor der Sommerpause 2020 an.
Die Reform ist ein Mammutprojekt. Nach den «Gelbwesten»-Protesten ist sie die nächste große Herausforderung für Präsident Macron und ein durchaus heikles Vorhaben. In Frankreich fürchten nun viele einen Streik wie zuletzt 1995. Damals wurde wochenlang gegen die Renten- und Sozialversicherungsreform des damaligen Premierministers Alain Juppé protestiert. Auch der aktuelle Streik wird wohl nicht am Donnerstagabend vorbei sein, sondern dürfte sich hinziehen. Für das Wochenende werden wieder massive «Gelbwesten»-Proteste in Paris erwartet.
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(dpa)