Chancen, Favoriten, Außenseiter: Schwimmen im Check
Rio de Janeiro (dpa) – Lange wurde in der olympischen Schwimmhalle gehämmert und die Technik erprobt. Von Samstag an sollen auch die Aufbauarbeiten im deutschen Becken-Team weiter gehen.
Nach dem Debakel von London und den damals ersten Spielen seit 80 Jahren ohne Medaille im Pool hoffen 27 deutsche Schwimmer auf Erfolge. Weltrekordler Paul Biedermann will ebenso seine erste Olympia-Medaille wie Weltmeister Marco Koch. Rekord-Olympiasieger Michael Phelps könnte weiter Sportgeschichte schreiben. Und was ist mit den Russen?
Wieso müssen die Schwimmer bis nach Mitternacht ins Wasser?
Wer zahlt, bestimmt. Der US-Sender NBC will Phelps und Co. zur amerikanischen Prime Time zeigen. Das heißt für Rio: Vorlaufstart um 13.00 Uhr, die Finals beginnen um 22.00 Uhr Ortszeit. Das bedeutet etwa für die europäischen Schwimmer, ihren Biorhythmus umzustellen. Tageslichtlampen sollen helfen, den brasilianischen Winter mit frühem Sonnenuntergang und früher Müdigkeit zu überlisten. Mittagessen gibt es am frühen Abend, Abendessen nicht vor 01.00 Uhr nachts. Das alles heißt für deutsche TV-Zuschauer: frühmorgens um 03.00 Uhr aufstehen für Biedermann oder Koch.
Die deutschen Ziele?
Nach dem London-Debakel kann es nur besser werden. Für die avisierten zwei bis drei Medaillen müssten aber nahezu alle Trümpfe stechen. Neben Freistil-Weltrekordler Biedermann sind dies Europameisterin Franziska Hentke (200 Meter Schmetterling), eventuell die Männer-Staffel über 4 x 200 Meter Freistil und Weltmeister Marco Koch (200 Meter Brust). Außer Medaillengewinnen ist Chefbundestrainer Henning Lambertz wichtig, dass ein möglichst hoher Prozentsatz die in der Olympia-Qualifikation erzielten Zeiten unterbietet. Gerade damit haperte es vor seinem Amtsantritt Ende 2012. Indes: Selbst persönliche Bestzeiten werden angesichts der starken internationalen Konkurrenz oft «nur» für Halbfinale oder Endläufe reichen.
Wer kann Weltmeister Marco Koch stoppen?
Leider (zu) viele. Koch hat nämlich ein gemeinsames Problem mit Biedermann. Die Konkurrenz in Kochs und Biedermanns Disziplinen ist so vielfältig wie auf kaum einer anderen Strecke. So könnte es beiden passieren, dass sie trotz Klasse-Zeiten Medaillen verpassen. «Man muss Weltrekord schwimmen, um Olympia-Gold zu holen», prognostiziert der Darmstädter Koch.
Was macht der deutsche Nachwuchs?
Er reift. Damian Wierling (20) etwa schwamm mit deutschem Rekord über 50 Meter Freistil in die erweiterte Weltklasse und hat ebenso Chancen auf den Endlauf wie der WM-Fünfte Jacob Heidtmann (21) über 400 Meter Lagen. Diese Strecke steht am Samstag zum Auftakt an; dann startet auch Johannes Hintze. Der 17-Jährige ist der jüngste deutsche Olympia-Schwimmer seit 1976. Noch jünger ist Leonie Kullmann. Die 16-Jährige schwimmt die Freistil-Staffel über 4 x 200 Meter.
Wer sind die Stars?
Zwei US-Schwimmer: Michael Phelps und Katie Ledecky. Phelps wird drei Einzelstrecken und bis zu drei Staffeln bestreiten und will seinen 18 Olympiasiegen weitere hinzufügen; vor dem Auftakt präsentierte sich der junge Vater locker und offen wie nie. Die jetzt 19-jährige Ledecky gewann schon 2012 Freistil-Gold und ist inzwischen neunfache Weltmeisterin. Da muss sich auch Vielstarterin Katinka Hosszu (Ungarn) ganz schön strecken. Ihre sechsten Spiele bestreitet Therese Alshammar. Die 38-jährige Schwedin ist inzwischen Mutter und startet über die kurzen Freistilstrecken. Für optische Effekte ist US-Sonnyboy Ryan Lochte zuständig: Nach Brillanten-Deko im Mund sind für den Designer eigener Sneakers nun seine bläulich-grauen Haare der Hingucker.
Welche Russen sind dabei?
Gute Frage. Das entschieden das Internationale Olympische Komittee und der Sportgerichtshof CAS auf den letzten Drücker. Die zunächst gesperrten Nikita Lobinzew und Wladimir Morosow dürfen wohl starten, Weltmeisterin Julija Jefimowa darf eventuell auch, vier andere dafür nicht. «Es ist ein Chaos, aber wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren», sagt Lambertz.
Wann startet Yusra Mardini aus dem Flüchtlingsteam?
Die junge Frau aus Syrien ist gleich am Samstag über 100 Meter Schmetterling an der Reihe. Die 18-Jährige fand beim Berliner Verein Wasserfreunde Spandau eine neue sportliche Heimat. Sie war vor rund einem Jahr aus Damaskus geflüchtet und hatte gemeinsam mit ihrer Schwester ein gekentertes Boot mehrere Stunden lang bis an das rettende Ufer gezogen.
Fotocredits: Michael Kappeler
(dpa)