Bundesliga-Geisterspiele: Eine 750-Millionen-Euro-Frage
Leipzig – Für die Fußball-Bundesliga steht eine Menge Geld auf dem Spiel, doch für den Rest des Landes womöglich noch viel mehr.
Darf sich die schönste Nebensache der Welt mitten in der Coronavirus-Pandemie eine Sonderrolle genehmigen und die Saison fortsetzen? Ein Pro & Kontra zu Geisterspielen.
PRO
Existenzsicherung: Für die 36 Vereine stehen insgesamt 750 Millionen Euro auf dem Spiel. Diese Summe steht für die aktuelle Saison noch an TV-Geldern aus und wird bei einem Abbruch nicht überwiesen. Das könnte dazu führen, dass Vereine von der Bildfläche verschwinden. «Die 36 Clubs wird es in dem Maße nicht mehr geben», sagte der Wirtschaftsexperte Henning Zülch zu einem Abbruch dem «MDR». Der Professor der Leipziger Handelshochschule sieht bereits aktuell vier Clubs krisengefährdet: Drei aus Nordrhein-Westfalen, einen aus dem Osten. Ende April will Zülch eine Analyse aller 36 Bundesligisten vorlegen.
Wichtiger Wirtschaftszweig: Mit seinen laut DFL-Geschäftsführer Christian Seifert 56 000 von den Bundesligen abhängenden Arbeitsplätzen sind die ersten beiden Ligen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Zwar wird bei Geisterspielen der Wurstverkäufer auch zu Hause bleiben müssen, Sicherheitsdienste dürften jedoch zum Einsatz kommen. Zudem sind bei einigen Clubs Mitarbeiter der Geschäftsstelle in Kurzarbeit geschickt worden, was Gehaltseinbußen von bis zu 40 Prozent bedeuten kann. Der Profi-Fußball sei «nicht unwichtiger als andere wirtschaftliche und gesellschaftliche Bereiche unseres Lebens», sagte etwa Ralf Rangnick der «Leipziger Volkszeitung».
Stimmungsaufheller: Kinder dürfen nicht zur Schule, Eltern arbeiten von zu Hause aus und nach draußen soll man nur beschränkt. Da könnte in all der Tristesse die Bundesliga für gute Stimmung, für Gemeinschaftserlebnisse vor dem Fernseher sorgen. Das findet übrigens auch Timo Werner. «Es wäre doch jeder froh, wenn einfach wieder ein Spiel stattfindet. Da könnte man das Stadion drumherum auch abbauen. Hauptsache, die TV-Kameras sind dabei und die Leute können sich vor dem Fernseher versammeln und zuschauen», sagte der Nationalspieler.
Kein Berufsverbot: Paketdienste liefern, Supermärkte haben geöffnet und zumindest ganz langsam soll sich das Leben in Deutschland auch sonst wieder etwas normalisieren. Deshalb sollte es auch für Profi-Fußballer kein Berufsverbot geben. Zum Job zählt eben nicht nur das Training, sondern vor allem die Spiele. Und wenn keine Zuschauer zugelassen sind, wäre es eben ein Homeoffice der etwas anderen Art.
KONTRA
Fan-Disziplin: Bei Geisterspielen sind die Stadien zwar so gut wie leer, doch Menschenansammlungen verhindert das trotzdem nicht. Das beste Beispiel war die Begegnung zwischen Mönchengladbach und Köln, die erste in der Bundesliga ohne Zuschauer. Da versammelten sich Fans vor dem Stadion und feierten vor allem sich selbst. Durch Geisterspiele wird die Versuchung groß sein, das Gemeinschaftsgefühl mit anderen Anhängern des eigenen Vereins zu suchen und sich vor Stadien oder auf großen Plätzen zu treffen.
Extrawurst: In den Bundesligen spielen 36 Vereine. Nur 36 Vereine. Warum sollten diese spielen dürfen, während Basketballer, Handballer, Volleyballer und zig andere Sportler nur zuschauen dürfen? Ganz zu schweigen von den Fußball-Profis unterhalb der Bundesligen. Die DFL würde eine Sonderrolle für sich in Anspruch nehmen, die nur schwer vermittelbar wäre.
Infektionsgefahr: Ein Spiel ohne Zuschauer bedeutet nicht, dass nur 22 Profis auf dem Rasen kicken. Nach den Plänen der DFL würden sich bei jedem Spiel bis zu knapp 250 Menschen aufhalten – vom Ordner, über den Rettungsdienst bis zum Medienvertreter. Es dürfte unbestritten sein, dass die Infektionsgefahr dadurch deutlich steigt, zumal nicht jede dieser Personen alle drei Tage auf das Coronavirus getestet werden wird. Ganz davon abgesehen, ob es sich der Fußball erlauben sollte, einen Teil der Testkapazitäten für sich zu beanspruchen.
Verzerrung: Abgesehen davon, ob zum Beispiel Union Berlin in einem leeren Stadion An der Alten Försterei gegen Bayern München dieselben Chancen hätte wie bei einem ausverkauften Haus, ist der Wettbewerb bereits auf anderen Ebenen verzerrt. Während einige Clubs bereits Ende März wieder in kleinen Gruppen trainierten, war Werder Bremen beispielsweise selbst das bis vor gut einer Woche untersagt. Erst im zweiten Anlauf erhielt Werder die Genehmigung. Zudem könnte es dazu kommen, dass ein Verein sein Stadion nicht nutzen darf, da die finale Entscheidung bei der Politik liegt.
Fotocredits: Roland Weihrauch
(dpa)