Botsuana zur Regenzeit: Wenn die Kalahari blüht
Maun – Im Deception Valley glaubt das ungeschulte Auge zunächst, mitteleuropäische Landschaften zu erblicken. Saftiges Gras bedeckt an einem Tag im Januar die Ebenen. Dornbüsche und Bäume tragen dichtes Blattwerk, Wildrosen wiegen sich im Wind, Schmetterlinge umflattern das Allrad-Fahrzeug.
Zugegeben, die ikonische Form der Schirmakazie erinnert sogleich an die afrikanische Savanne. Doch die Natur der zentralen Kalahari in Botsuana zeigt sich während der Regenzeit sanft, fast einladend – vollkommen anders als die menschenfeindliche Dürre der Trockenperiode. Die sonst so trockene Savanne wird zu einem grünen Garten Eden.
Ein argloser Spaziergang durch das Deception Valley wäre gleichwohl lebensgefährlich. Samuel Andy Kasale hat drei junge männliche Löwen unter einem Baum ausgemacht. Der Wagen fährt bis auf wenige Meter heran. «Ihre Bäuche sind voll, sie haben vor kurzem gefressen», sagt der Safariguide und fährt pathetisch fort: «Diese drei Löwen werden andere Rudel aufspüren und versuchen, den Männchen ihre Weibchen streitig zu machen, um selbst Anführer zu werden. Das ist die Geschichte ihres Lebens.» Es ist der Lauf der Dinge in der Wildnis des Central Kalahari Game Reserves.
Die meisten Touristen besuchen Botsuana in den trockenen Monaten von Mai bis Oktober. Denn das ist die beste Reisezeit für das berühmte Okavango-Delta, die Hauptattraktion des Landes. Eine Reise in der Regenzeit, etwa im Januar und Februar, eignet sich dagegen am besten für die Kalahari, wegen der Tiere und des Naturschauspiels: Schiefergraue Wolken türmen sich über sattgrüner Savanne, Regenwände verdüstern den Horizont. Nachmittags scheint die Luft wie aufgeladen. Immer dramatischer werden die Formationen am Himmel, bis sich die Spannung in stürmischen Gewittern entlädt.
Die zentrale Kalahari ist eine der einsamsten Regionen Afrikas. Botsuana ist zwar etwa eineinhalb Mal so groß wie Deutschland, hat aber nur zwei Millionen Einwohner. Das Reservat ist größer als Niedersachsen, aber praktisch menschenleer. Die Anreise zum «Kalahari Plains Camp» erfolgt deshalb ab Maun mit einer sechssitzigen Cessna U206, die nach knapp einer Stunde auf einer Buschpiste aufsetzt. Auf der zehnstündigen Rundfahrt von der Lodge ins Deception Valley und zurück wird die Gruppe genau einem anderen Safari-Fahrzeug begegnen.
Dafür gibt es in der Regenzeit umso mehr Tierbegegnungen. Immer wieder Steinböcke, Springböcke, Streifengnus – und unzählige Oryx-Herden. Dazwischen Sattelstörche, Marabus, Riesentrappen, Reiher und hin und wieder ein Strauß. Schakale schleichen durchs Gras. Zwei Geparden, die gerade ein Oryx-Jungtier erlegt haben, lassen sich nur ungern bei ihrer Mahlzeit stören. Der König der Savanne ist aber der Kalahari-Löwe, erkennbar an der schwarzen Mähne. Das Deception Valley mit seinen weiten Graspfannen, die immer wieder von Bauminseln unterbrochen werden, ist ein perfektes Jagdgebiet.
Abends darf der Gast den Tag in einer der wohl exklusivsten Unterkünfte des afrikanischen Kontinents Revue passieren lassen. Im Kalahari-Reservat und an seinen Grenzen gibt es nur rund ein Dutzend permanente Safari-Lodges. Das
«Kalahari Plains Camp» liegt südlich des Deception Valleys: acht komfortable Zelt-Chalets mit eigenen Toiletten und Duschen, eine große Lounge mit Speisesaal – und Pool. Der Strom kommt aus der Solaranlage. Den Standardtarif für eine einzelne Übernachtung inklusive Verpflegung und Game-Drives im Zeitraum von Mitte Januar bis Ende Mai gibt
Wilderness Safaris mit 935 US-Dollar (880 Euro) pro Person an. Eine Nacht in der Kalahari zum Preis eines einwöchigen Badeurlaubs am Mittelmeer? So ist es.
Das demokratische und wirtschaftlich potente Botsuana wünscht sich möglichst wenige Touristen, die möglichst viel Geld ausgeben. Entsprechend hoch sind die Preise im Land. Durch die Absage an den Massentourismus soll der Lebensraum der Wildtiere erhalten bleiben.
Die Geschichte der Erschließung der zentralen Kalahari für den Diamantenabbau und Tourismus hat aber ein düsteres Kapitel. Das Reservat wurde 1961, als Botsuana noch das britische Protektorat Betschuanaland war, zum Schutz der Ureinwohner gegründet. Die San, auch Basarwa oder Buschleute genannt, lebten dort als Jäger und Sammler. Die Nomaden wurden sesshaft, doch die Regierung forderte sie Ende der 90er-Jahre zum Verlassen des Reservats auf. Schlussendlich wurden die San zwangsumgesiedelt. Für viele begann ein Leben geprägt von Apathie und Alkohol. Der Oberste Gerichtshof erlaubte zwar 2006 die Rückkehr der Buschleute ins Reservat. Doch der Bau eines Brunnens wurde zunächst verboten – und heute ist das Jagen illegal.
Manche San arbeiten mit den Safari-Camps zusammen und bieten dort «Bushmen Walks» für Touristen an. Auf Spaziergängen zeigen sie zum Beispiel, wie man Fallen für Springhasen baut, Feuer nur mit Stöcken entfacht und aus welchen Hölzern sie ihre Bögen anfertigen. Manchmal fangen sie auch einen Skorpion, der nach einer kleinen Vorführung wieder freigelassen wird. Denn die San entnehmen der Natur nur das, wie sie zum Leben brauchen. Sie verschwenden nichts.
Die Buschrundgänge haben etwas unangenehm Folkloristisches an sich. Die Frauen und Männer werfen sich Felle über, obwohl sie sonst gewöhnliche Kleidung tragen. Das ist Touristen oft gar nicht klar. Eine Urlauberin im «Kalahari Plains Camp» erkundigt sich, ob das Schlafen in der zu Showzwecken aufgebauten Holzhütte nicht unbequem sei. Die realen Lebensumstände der Buschleute werden auf den Führungen nicht thematisiert. Kritiker empfinden es gar als Hohn, dass Reisenden eine angeblich heile Welt im Busch vorgegaukelt wird, während die Regierung Botsuanas die San entrechtet und ihre traditionelle Lebensweise zerstört habe.
Das Zeltcamp «Meno a Kwena» («Zähne des Krokodils») am Westrand des Makgadikgadi-Pans-Nationalparks arbeitet ebenfalls mit einer Gruppe San zusammen. Xhamme Xishe, 24, gehört zum Stamm der Quxwas und übersetzt für seine Kollegen. Die Khoisansprachen der Ureinwohner der Kalahari bestehen aus vielen Klicklauten, die ein Europäer kaum wiedergeben kann. Es ist faszinierend, den Menschen zuzuhören.
Man hat den Eindruck, dass die «Bush Walks» den San durchaus Spaß machen. Es wird viel gescherzt. Xishe zeigt auf die Spuren am Boden, die über die nächtlichen Wege der Tiere Auskunft geben. «Das hier ist unsere Zeitung», sagt der junge Mann und lacht. Von der Arbeit im Tourismus profitiert der überwiegende Teil der San aber noch nicht.
Makgadikgadi ist ein Park, dessen Besuch sich ebenfalls während der Regenzeit lohnt. Er liegt nordöstlich des Kalahari-Reservats und umfasst mit dem kleineren Nxai-Pan-Nationalpark eine Region, die von ausgedehnten Salzpfannen geprägt ist. In der Regenzeit laufen die Pfannen voll. Viele Straßen sind dann zwar nicht befahrbar, doch die Landschaft ist grün und von Blüten überzogen. Wildtiere zeigen sich ebenfalls in großer Zahl, zum Beispiel Elefanten.
Das Camp «Meno a Kwena» liegt gleich oberhalb des Boteti-Flusses. Wer vor sein luxuriöses Zelt tritt, sieht manchmal Flusspferde und Krokodile im Wasser oder trinkende Antilopen am Ufer. Spektakulär wird es im November, wenn rund 20 000 Zebras und Gnus auf der Suche nach Wasser aus dem Osten des Parks zum Boteti kommen. Doch in der Trockenzeit ist Makgadikgadi ansonsten eher etwas unspektakulär.
Mphapi Dekaelo, 38, steuert den Allradler in Richtung Norden, in die Nxai Pan. Er fing als Barmann an, wurde Kellner, schließlich Assistant Manager. Dann stieg er aus dem Tourismus aus und widmete sich der Zucht von Helmperlhühnern. «Aber diese Geschäftsidee ist gescheitert», berichtet Dekaelo. Nun ist er lizenzierter Safari-Guide und scheint damit auch nicht unglücklich zu sein.
Am Wegrand ziehen erst Giraffen vorbei, dann Strauße, schließlich Oryx-Antilopen und Zebras. Und stets grüne Gräser. Der Goldweber hat seine hängenden Nester in die Büsche gesetzt. Das Tagesziel in den Nxai-Pfannen ist eine Baumgruppe, die als Baines‘ Baobabs bekannt geworden ist: sieben mächtige Affenbrotbäume am Rand einer großen Salzpfanne. Benannt sind sie nach dem britischen Forschungsreisenden John Thomas Baines (1820-1875), der die Bäume einst malte.
Unter einem der Riesen baut Dekaelo einen kleinen Campingtisch für das Mittagessen auf, und das keineswegs unbedacht. «Ich muss zuerst die Spuren lesen, in die Äste schauen, den Vögeln lauschen», erklärt der Guide. Nähern sich womöglich Raubkatzen? Hängt eine tödliche Schwarze Mamba im Baum? Heute ist alles unverdächtig.
Auch in Makgadikgadi verursacht der Tourismus einige Probleme. Der Park ist seit 2003 durch einen rund 900 Kilometer langen Zaun vom Weideland getrennt, um Raubtiere fernzuhalten. Über weite Teile verläuft der Zaun allerdings mitten durch den Boteti. Denn der Fluss führt erst seit 2008 wieder Wasser. So lässt sich die Parkgrenze mühelos überqueren. «Ein Leopard hat einmal drei Wochen lang jede Nacht Ziegen getötet. Die Leute aus dem Dorf haben das Tier erschossen», erzählt Dekaelo. Diese Reaktion ist natürlich nicht im Sinne des Artenschutzes, aber durchaus verständlich.
Der Zaun ist ohnehin ein Witz. Elefanten können ihn mühelos niedertrampeln. Man überlegt nun, einen neuen Zaun zu bauen. Das Nebeneinander von Landwirtschaft und Wildtiertourismus ist in jedem Fall nicht immer leicht.
Was die Landwirte stört, kann für Touristen ein besonderes Erlebnis sein. Das «Meno a Kwena» ist nicht umzäunt. Sobald es dunkel ist, darf der Gast nur noch in Begleitung in sein Zelt gehen. Nachts hört er, wieso: Ein Löwe durchquert das Lager, er geht diesseits des Flusses auf Jagd – zum Ärger der Dorfbewohner. Sein Brüllen hallt durch die Finsternis, ganz nah. Zu nah, denkt man, und liegt wach. Irgendwann entfernt sich das Brüllen und wird vom nächtlichen Regen abgelöst. So wird dem Besucher noch einmal deutlich, dass die Natur keineswegs so harmlos ist, wie sie in der Regenzeit wirkt.
Kalahari und Makgadikgadi zur Regenzeit
Anreise: Direktflüge nach Botsuana von Deutschland aus gibt es nicht. Mit Zwischenstopp in Johannesburg oder Windhoek geht es nach Maun. Von dort organisieren die Camps den weiteren Transport in die Parks über Land oder per Kleinflugzeug.
Einreise: Deutsche Reisende brauchen für Botsuana kein Visum, aber einen Reisepass, der noch mindestens sechs Monate gültig ist.
Übernachtung: Die meisten Safari-Camps sind gehoben bis luxuriös und kosten mehrere hundert Euro pro Nacht. Sie liegen vor allem an den Grenzen der Parks und Reservate. In der Kalahari gibt es einige wenige «Luxury Tented Camps». Reservierung am besten frühzeitig über das jeweilige Buchungsbüro. Für Individualreisende und Selbstfahrer gibt es Campingplätze innerhalb der Park- beziehungsweise Reservatsgrenzen.
Informationen: Botswana Tourism Organisation, Karl-Marx-Allee 91 A, 10243 Berlin, Tel.: 030/42 02 84 64
Fotocredits: Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage,Philipp Laage
(dpa/tmn)