Anfahren ohne Atempause: Autobauer stopfen das Turboloch
Ingolstadt – Wer ein Auto mit Turbolader fährt, ist oft nicht ganz so spontan unterwegs wie mit einem Sauger. Zwar steigt die Leistung mit zunehmender Drehzahl oft überproportional. Doch beim Anfahren lässt sich der Lader dafür bisweilen um so mehr Zeit.
Für diese Gedenksekunde hat sich der Begriff Turboloch eingebürgert. Dass es dieses verzögerte Ansprechverhalten gibt, liegt am Aufbau der Motoren, erklärt Prof. Stefan Pischinger von der RWTH Aachen: Das Turbinenrad des Laders wird mit dem Abgasstrom angetrieben. Solange der Motor noch wenig Abgas produziert, dreht der Lader langsam und macht weniger Druck. Deshalb dauert es ein paar Sekundenbruchteile, bis der Turbo so richtig auf Touren kommt.
Allerdings haben die Entwickler neue Möglichkeiten gefunden. Die jüngste kommt von Mazda. Die Japaner bauen nun zunächst in den USA in ihre großen Geländewagen CX-9 ihren ersten Turbo ein. Der 2,5 Liter große Vierzylinder ersetzt dem Hersteller zufolge einen V6-Sauger mit 3,7 Litern und nutzt einen einfachen Kunstgriff: Das Abgas wird bei niedrigen Drehzahlen durch kleinere Öffnungen zur Turbine geführt. «So, als würde man die Öffnung eines Gartenschlauches zum Teil mit dem Daumen verschließen, erreicht man durch den kleineren Auslass einen höheren Druck», sagt ein Ingenieur. Deshalb spreche der Turbo bei niedrigen Drehzahlen um bis zu 25 Prozent schneller an.
Volvo führt bei den Turbodieseln der Oberklasse-Familie S90 und V90 die sogenannte PowerPulse-Technik ein. Das System speichert laut Pressesprecher Michael Schweitzer mit einem elektrische Kompressor Luft in einem Drucktank. Wird der beim Anfahren von der Motorelektronik geöffnet, strömt diese Druckluft gegen das Turbinenrad und beschleunigt den Verdichter. «Das Ergebnis ist ein spontaneres Fahrgefühl», sagt Entwicklungschef Peter Mertens.
Ein ähnliches Ziel mit deutlich aufwendigerer Technik verfolgt Audi im Geländewagen SQ7. Dort haben die Bayern den 320 kW/435 PS starken V8-Diesel mit dem ersten elektrischen Verdichter in einem Serienauto kombiniert. Noch bevor die zwei konventionellen Turbos hochlaufen, bringt ein Elektromotor sein Turbinenrad binnen 250 Millisekunden auf 70 000 Touren, sagt Projektleiter Klaus Bugelnig. Um den elektrischen Verdichter so schnell auf so eine hohe Drehzahl zu bringen, braucht es deutlich mehr Energie, räumt Bugelnig ein. Deshalb muss für das System eigens ein Bordnetz mit 48 statt 12 Volt installiert werden. Das macht die Technik so teuer, dass sie zunächst wohl nur in Oberklasse-Fahrzeugen zum Einsatz kommt – als nächstes im Bentley Bentayga und im der zweiten Generation des Porsche Panamera.
Porsche hat sich zuletzt aber auch intensiv mit dem Turbo beschäftigt. Im gerade vorgestellten 718 Cayman S mit 2,5 Litern Hubraum und 257 kW/350 PS zum Beispiel wird der Turbo vorgespannt, wenn man nur leicht aufs Gas tritt. Und lupft man bei Vollgas nur kurz den Fuß, bleibt die Drosselklappe geöffnet, und es wird lediglich die Benzineinspritzung ausgesetzt. So baut sich der Ladedruck langsamer ab und ist beim nächsten Kickdown schneller wieder da. Motoren-Professor Pischinger hält angesichts dieser Entwicklungen wenig vom sentimentalen Festhalten am Sauger und will vom Turboloch nichts mehr wissen. «Die Turbotechnik ermöglicht heute ein ähnlich gutes Ansprechverhalten wie freisaugende Motoren.» Wer mit so einem neuen Turbo startet, der kann deshalb auch ohne Atempause anfahren.
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(dpa/tmn)