Neuschwanstein: So wird das Märchenschloss herausgeputzt
Schwangau – Majestätisch erhebt sich Schloss Neuschwanstein über der winterlichen Berglandschaft Schwangaus, umhüllt von einer Schneedecke – und vielen Baugerüsten.
Das weltberühmte Märchenschloss von König Ludwig II. plagen Schönheitsmakel: Risse in den Außenmauern, instabile Buntglasfenster, verblasste Wandfarben, beschädigter Parkettboden. Und durch die Dachfenster suppt Regen herunter.
Vor knapp zwei Jahren hat die Sanierung des Baudenkmals begonnen, bei laufendem Betrieb. «Wir sind Zeitzeugen einer Maßnahme, die es so noch nie gegeben hat», sagt Schlossverwalter Johann Hensel. Denn erstmals seit 130 Jahren wird auch im Inneren vollumfänglich restauriert: 93 Räume und mehr als 2300 Einzelobjekte – darunter Gemälde, Möbel, Textilien, Fenster, Türen, Wände. Für die Bayerische Schlösserverwaltung ist es eine der größten und komplexesten Innenrestaurierungen ihrer Geschichte. Die Kosten für den Freistaat Bayern: 20 Millionen Euro.
Im Treppenhaus zum vierten Obergeschoss dunstet der Geruch von frischem Holz. Den Sängersaal, den größten Raum neben dem Thronsaal, füllt derzeit fast zur Hälfte ein Baugerüst. «Gerüst-Deluxe» nennt es Hensel, da es freistehend ist und somit keine Wände beschädigt. Eine Plane hängt darüber, auf der die originalen Wandgemälde gedruckt sind. An einzelnen Stellen ist sie transparent, damit die Besucher einen Blick auf die Arbeiten dahinter erhaschen können – etwa auf einen der Restauratoren. Im Wollpullover kniet er auf dem Boden, die Temperatur im Saal liegt bei gerade mal fünf Grad. Akribisch genau retuschiert er mit Pinseln und Skalpellen die Wandfassungen.
Trotz der Bauarbeiten gibt es weiter Führungen durch das berühmte
Schloss. Alle fünf Minuten wandert eine neue Gruppe durch den Saal. Die Meinungen der Gäste sind gemischt: Der eine findet die Baustelle «spannend», der andere «störend». Schlossverwalter Hensel betont die Vorteile: «Durch den Austausch mit den Restauratoren sammeln die Führer weiteres Wissen. Das kommt wiederum den Gästen zu Gute.» Dennoch: Ein Drittel der für Besucher zugänglichen Räume wird die nächsten Jahre von den Arbeiten betroffen sein.
Die rund 1,5 Millionen Touristen im Jahr sind ein Grund für die Restaurierung: einmal anfassen hier, einen Schmuckstein mit der Nagelfeile rausschneiden dort. Durch das Schloss, das der menschenscheue Ludwig II. ursprünglich als Rückzugsort bauen ließ, stapfen täglich bis zu 8000 Gäste.
Bis dato sollen es 60 Millionen Besucher gewesen sein – und diese haben ihre Spuren hinterlassen. Besonders schädlich für die historischen Innenräume ist die Luftfeuchtigkeit, die sie hereinbringen, unter anderem durch ihre Atemluft. Wie ein feuchter Film legt sich diese auf die Innenausstattung und das Mauerwerk, lässt mit der Zeit Textilien schimmeln und Wandfarben verblassen.
Eine neue Lüftungsanlage soll Abhilfe schaffen: Sie absorbiert Feuchtigkeit und führt trockene Frischluft zu. Dadurch kann die Ausstattung und Bausubstanz dauerhaft konserviert werden. Hilfreich ist da das historische Rohrsystem. Es wurde ursprünglich dazu genutzt, warme Luft in die Räume zu blasen. Jetzt findet hier die neue Lüftungsanlage Platz: «Da wir in die denkmalgeschützten Wände nicht einfach schlitzen können, verwenden wir die Warmluftkanäle», erklärt Heiko Oehme von der Bauabteilung der Schlösserverwaltung.
Die komplette Schönheitskur dauert voraussichtlich bis 2022. Das Baugerüst am historischen Torbau soll Mitte des Jahres abgebaut werden. Solange müssen Touristen sich mit dem einen oder anderen Makel auf ihren Fotos abfinden – aber auch Märchenschlösser müssen sich hin und wieder herausputzen.
Fotocredits: Karl-Josef Hildenbrand,Karl-Josef Hildenbrand,Karl-Josef Hildenbrand
(dpa)