Königin der Seerosen wird nachts von Menschen bestäubt
Berlin – In lauen Sommernächten, wenn das Mondlicht durch die gläserne Kuppel des Victoriahauses schimmert, schlägt im Botanischen Garten Berlin die Stunde der Gärtner und Forscher. Gegen Mitternacht öffnet dann Riesenseerose «Victoria» ihre Blüten.
Dann gilt es, mit Wathose ins Wasserbecken zu steigen und die Natur nachzuahmen. «Die Blüten müssen ja bestäubt werden», sagt Kurator Nils Köster. Und weil Berlin nun mal nicht das Amazonasgebiet samt Käfern ist, die sich vom Duft der Blüten anlocken lassen, muss der Bestäubungs-Job eben vom Menschen erledigt werden – mitten in der Nacht.
Der Lohn ist ein Wasserbecken voll mit «Victoria». Die Seerose lässt ihre Blätter bis zu zwei Metern Durchmesser wachsen – und ist nach zwölf Jahren Pause wieder eine der großen Attraktionen in einer der weltweit wichtigsten Wasserpflanzen-Sammlungen.
2006 musste das
Victoriahaus des Botanischen Gartens schließen. «Das war eine Bruchbude», sagt Köster – weder für Pflanzen noch für Besucher länger zumutbar. Zehn Millionen Euro waren nötig, um die über 100 Jahre alte Glas- und Stahlkonstruktion wieder in alter Pracht erstrahlen zu lassen.
Das Gewächshaus, ein Baudenkmal aus dem Jahr 1905, orientiert sich in seiner Form an Seerosen: Es ist flach und breit. Die gläserne Kuppel schwebt frei, damit nicht Säulen die Sicht ins 125 Quadratmeter große Wasserbecken versperren. Heiß ist es hier, bis zu 30 Grad Celsius, und tropisch feucht.
Das Victoriahaus zeigt Seerosen von allen Kontinenten. Forschern wie Köster geben die Blütenpflanzen immer noch Rätsel auf. 100 Millionen Jahre Evolution haben sie hinter sich. Ihre auffälligen Schwimmblätter bildeten sie erst mit der Zeit aus.
Wenn Gärtnerin Roswitha Domine im Botanischen Garten eines der Riesenblätter der «Victoria» umdreht, zeigt sich eine geäderte Rückseite samt Überraschung: Stacheln. «Das ist am Amazonas ein natürlicher Schutz vor Wassertieren wie Seekühen», erläutert Biologe Köster. Und der mehrere Zentimeter hohe Rand, den die großen Schwimmblätter ausbilden, ist auch keine reine Deko: Er schützt vorm Überwuchern durch andere Pflanzen im Dschungel.
Deutsche Botaniker haben die botanische Schönheit schon um das Jahr 1816 in Südamerika entdeckt und beschrieben. Ihren Namen «Victoria» gaben ihr später britische Forscher zu Ehren der damaligen Queen Victoria (1819-1901). Um die Wasserpflanze entstand im 19. Jahrhundert ein regelrechter Hype und viele Botanische Gärten bauten für sie kleine Glaspaläste. Sie hießen dann meist Victoriahäuser.
Bald wurde es ein Spaß, Kinder vorsichtig auf die Seerosenblätter zu setzen und sie darauf abzulichten – denn sie tragen mehr als 50 Kilo Gewicht. Kuriose Fotos aus der 100-jährigen Geschichte des Berliner Victoriashauses sind ab Samstag auch in einer Sonderausstellung zu sehen.
Fotocredits: Jens Kalaene
(dpa)