Deutsches Eishockey will Olympia-Hype nutzen
Pyeongchang – Das Eishockey-Wunder von Pyeongchang soll in der Heimat vergoldet werden. Nach dem Silber-Wahnsinn und einer wilden Partynacht stellte sich das Olympia-Sensationsteam von Bundestrainer Marco Sturm auf einen neuen Hype ein, der schon bei der umjubelten Ankunft in der Heimat zu spüren war.
«Es macht uns stolz, dass wir die Leute zu Hause mitreißen konnten», sagte Christian Ehrhoff bei der stimmungsvollen Willkommensparty in Frankfurt. Anders als nach dem Coup mit Platz vier bei der Heim-WM 2010 soll der Boom diesmal wirkungsvoll genutzt werden. «Wir wollen besser werden, wir wollen wachsen, größer werden. Ich glaube schon an einen Schub», sagte der Präsident des Deutschen Eishockey-Bunds (DEB), Franz Reindl, nach dem knapp verpassten Olympiasieg und betonte: «Wir sind vorbereitet. Wir sind auf einem ganz anderen Weg als 2010.»
Auch die Nationalspieler wie Verteidiger Moritz Müller setzen auf eine «Signalwirkung» fürs deutsche Eishockey: «Wir mögen schon auch alle Fußball, aber wir glauben schon, dass Deutschland ein Land ist, wo mehr Platz ist als für eine große Sportart.» Abwehr-Star Christian Ehrhoff, Fahnenträger bei der Schlussfeier, meinte nach dem größten Erfolg des deutschen Eishockeys: «Melden sich jetzt am Montag viele Kids zum Eishockey an? Das ist natürlich die Hoffnung.»
Versäumnisse wie 2010, als die Euphorie schnell verpuffte, will der DEB unbedingt vermeiden. «Wenn man das nicht vergoldet, dann wäre das der größte Fehler überhaupt», sagte Sportdirektor Stefan Schaidnagel der Deutschen Presse-Agentur und kündigte Gespräche an: «Wir setzen uns definitiv nach Olympia noch mal zusammen. Wir müssen uns überlegen, wie wir uns nachhaltig erfolgreich aufstellen.»
Auch hinter den Kulissen hat sich seit der Heim-WM vor acht Jahren beim Verband vieles gewandelt. Im Sommer 2014 löste Reindl, Olympia-Bronzemedaillengewinner von 1976, den umstritten Uwe Harnos als Präsidenten an. Der frühere Nationalspieler richtete ein neues Präsidium mit Daniel Hopp, Berthold Wipfler und Marc Hindelang ein, entwickelte neue Ideen und ehrzeizige Ziele. Inzwischen ist der DEB, der lange in finanziellen Problemen steckte, konsolidiert.
Wie der Gewinn von der Heim-WM 2010 schnell aufgebraucht werden konnte und Minusbeträge in sechstelliger Höhe zustande kamen, hatte sich Reindls Vorgänger Harnos selbst bei seiner Amtsablösung nicht erklären können. Die Einnahmen von der Heim-WM 2017, laut Reindl in Höhe von 1,8 bis zwei Millionen, werden nun unter anderem in Fördermaßnahmen für den Nachwuchs, Personal und Trainer gesteckt.
Sportdirektor Schaidnagel, enger Mitarbeiter von Sturm, treibt die neu ausgerichtete Nachwuchsarbeit voran. Das Ziel, bis 2026 so weit voranzukommen, dass Deutschland bei großen Turnieren um Medaillen mitspielt, ist mit dem ersten olympischen Edelmetall im Eishockey seit 42 Jahren deutlich früher erreicht als erhofft.
Den Schwung will auch die Deutsche Eishockey Liga in den Alltag übertragen, der bereits am Mittwoch weitergeht. Die sieben Spieler von Tabellenführer München dürfen nach dem Wunder von Pyeongchang bis einschließlich Freitag frei machen, die um die Playoffs bangenden Mannheimer um Kapitän Marcel Goc sind gleich wieder gefordert.
Reindl setzt auf eine höhere Wertschätzung für die deutschen Profis bei den Clubs und rechnet mit Besuchen der Silbergewinner in TV-Studios. «Hoffentlich gibt es einen Boom. Für das deutsche Eishockey ist das extrem wichtig und hoffentlich eine Motivation an die Jugend, die wir auch brauchen», sagte Sturm nach dem 3:4-Drama in der Verlängerung gegen die Russen.
Die nordamerikanische Fachzeitschrift «The Hockey News» spekulierte, Kinder in Deutschland könnten sich die Olympioniken als Vorbild nehmen. «Und anstelle zu versuchen, der nächste Franz Beckenbauer, Michael Schumacher oder Dirk Nowitzki zu werden, wollen sie vielleicht, dass ihre Eltern ihnen eine Hockey-Ausrüstung kaufen und sie beim Hockey anmelden, um der nächste Patrick Hager zu werden.»
Kölns Müller wünschte sich nach den Siegen über die starken Eishockey-Nationen Schweden und Kanada einen Imagegewinn: «Oft ist Eishockey ja ein bisschen verrufen als Holzfäller-, Hacker-Sport. Ich glaube, man hat gesehen, dass Eishockey ein ganz toller, technischer, taktisch geprägter Sport ist.»
Dass die neuen deutschen Sportlieblinge in der Konstellation von Pyeongchang auch in Zukunft begeistern werden, ist allerdings unwahrscheinlich. Vermutlich feierten sie mit Ski-Star Lindsey Vonn Silber deswegen so ausgelassen, weil sie so zusammengestellt kaum mehr gemeinsam spielen werden. Obwohl direkt nach dem Finale erwartete Rücktritte vorerst ausblieben, steht wohl ein Umbruch bevor: 11 der 25 Olympioniken haben die 30 überschritten.
Zudem werden Nordamerika-Profis um Eishockey-Star Leon Draisaitl, die bei Olympia wegen des Verbots der NHL nicht dabei waren, schon bei der Weltmeisterschaft vom 4. bis 20. Mai DEL-Profis verdrängen. «Vielleicht wird die Truppe, die hier ist, auch in den nächsten Turnieren nicht mehr zusammen sein. Da muss man wieder von vorne anfangen», fürchtete Sturm. In jedem Fall erwartet den Coach und seine «Jungs», die Herausforderung, bei der kommenden WM in Dänemark Olympia-Silber zu bestätigen und den gestiegenen Erwartungen gerecht werden zu müssen. «Es wird für uns nicht leichter», sagte Sturm.
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(dpa)