Witt 30 Jahre nach Calgary: «Disziplin plus Laissez-faire»
Pyeongchang – Vor 30 Jahren gewann Katarina Witt in Calgary ihr zweites olympisches Gold im Eiskunstlauf. Die «Carmen on Ice» ist auch in Pyeongchang noch immer sehr gefragt. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur bezieht sie Stellung zu Doping, Claudia Pechstein und dem Korea-Konflikt.
Ihr Highlight der Spiele ist die Paarlauf-Kür von Aljona Savchenko und Bruno Massot. «Ich habe mich noch einmal neu in meine Sportart verliebt», sagt die 52-Jährige.
Ihre legendäre Carmen-Kür bei Olympia in Calgary, als sie gegen Debi Thomas gewannen, ist 30 Jahre her. Ihre Popularität ist weiterhin groß, was bedeutet Ihnen das?
Katarina Witt: Der US-Sender NBC und der Olympic Channel haben mich schon für Beiträge in Berlin besucht. Hier habe ich unter anderen den Australiern, Kanadiern, Russen und Italienern Interviews gegeben. Die Menschen emotional berührt zu haben, so dass sie sich an meine Carmen erinnern, ist doch das schönste Kompliment für mich.
Wie haben Sie den Olympiasieg von Savchenko/Massot erlebt?
Witt: Es war ein kollektives Schluchzen. Und es wird das Schönste für die beiden sein, wenn in 30 Jahren die Leute kommen und ihnen sagen: Ihr habt uns berührt. Das sind sportlich hoch emotionale Momente wie wir sie auch bei Steffi Graf und bei der Fußball-WM erlebt haben. Mit ihrer Kür haben Aljona und Bruno ihr eigenes einmaliges Meisterstück geschaffen, und es wird immer mit diesen Olympischen Spielen in Verbindung gebracht werden.
Savchenko ist extrem ehrgeizig, hinter Ihnen stand immer auch Jutta Müller. Kann man das vergleichen?
Witt: Aljona will den Wettstreit, sie ist eine Grenzgängerin. Sie steht für Disziplin mit drei Ausrufezeichen. Ich war Disziplin mit zwei Ausrufezeichen plus Laissez-faire.
Sie sind als ARD-Expertin in Südkorea – außer bei Olympia wird Eiskunstlauf nicht viel gezeigt. Tut Ihnen das weh?
Witt: Natürlich. Ausrufezeichen. Ich habe mich hier noch einmal neu in meine Sportart verliebt. Endlich ist auch Gesang bei allen Disziplinen erlaubt. Eiskunstlauf ist eine Mischung aus extremer sportlicher Höchstleistung und spannender Unterhaltung. Es wäre schön, wenn die TV-Sender das erkennen würden. Es gibt doch nichts Schöneres im Winter zu den zahllosen Schneewettbewerben passend zur Stolle und Kaffee, ebenfalls Eiskunstlaufen zu zeigen.
Savchenko/Massot haben viele Menschen bewegt, meinen Sie, davon kann der Sport langfristig profitieren?
Witt: Sie haben für Furore gesorgt, ich hoffe, dass mehr Eiskunstlauf-Interesse entsteht. Und man sollte diesen Sieg im Verband ebenfalls als Realitätscheck nehmen, vielleicht komplett neu denken. Ich wünsche mir Mut, Ehrlichkeit und Realitätssinn: Wie schaffen wir es, eine Rolle zu spielen im internationalen Maßstab. Die Teilnahme kann nicht nur das Ziel sein.
Wie bewerten sie die Annäherung von Nord- und Südkorea während der Spiele?
Witt: Da ist ein Fünkchen Hoffnung. In meiner Zeit des «Kalten Krieges» hatten wir Athleten immer ein freundschaftliches Verhältnis untereinander und waren der Politik einen Schritt voraus. Ich hoffe, die positive Entwicklung ist nicht nur «for the Olympics».
Wie erleben Sie Korea und die Spiele persönlich?
Witt: 1985 war ich das erste Mal auf Tournee in Seoul. Durch die Münchner Bewerbung vor einigen Jahren war ich begeistert von Asien, von der Energie, dem Spirit und dem Fortschritt. Die Geschwindigkeit ist allerdings ein wenig beängstigend und macht nachdenklich. Man merkt, dass wir in Europa eine Aufgabe haben, nicht noch mehr ins Hintertreffen zu geraten. Der freie technische Zugang zu allem hat aber nicht nur Vorteile, George Orwell grüßt täglich. Du spürst hilflos, wie gläsern du wirst.
Wie stehen Sie zum Thema Russland?
Witt: Da bin ich sehr hin- und hergerissen. Ich habe die größte Verachtung für Doping und damit jede Form von Betrug. Die Regelung bei diesen Spielen, die Russen unter neutraler Flagge antreten zu lassen, ist sicher ein Kompromiss. Die Athleten, die sauber sind, sollten teilnehmen.
Interessieren Sie sich als ARD-Expertin auch für die Dokumentationen des Senders von Dopingjäger Hajo Seppelt?
Witt: Natürlich. Zwar ist Hajo Seppelt für uns romantische, olympische Verfechter ein dauerhafter Spielverderber, weil er immer mit der Roten Flagge kommt, aber er hat recht. Die große Herausforderung des Sports ist es, mehr Glaubwürdigkeit zurückzubekommen. Ein großer Teil der Athleten ist sauber. Mittlerweile legt man jedes Wort auf die Goldwaage, du traust kaum noch einer großartig vollbrachten Leistung. Es ist bedauerlich, dass diese teilweise in Frage gestellt wird, Sport ging immer als letzte ehrliche Bastion durch.
Wie denken Sie über die Karriere von Claudia Pechstein?
Witt: Ich finde es absolut bewundernswert, sie ist eine der erfolgreichsten Athletinnen. Sie ist weiterhin getrieben von der Ungerechtigkeit, die ihr widerfuhr. Wenn jemand so vehement um sein Recht und seine Wahrheit kämpft, kann keine Lüge im Spiel sein. Ich wünsche Claudia von Herzen, dass sie eines baldigen Tages sich zuhause an ihren Müggelturm setzt, ins Wasser guckt, ihre sensationelle Karriere Revue passieren lässt und sieht, was sie Großartiges geleistet hat. Sie steht in den sportlichen Geschichtsbüchern. Vielleicht entdeckt sie wie ich, dass nach dem Leistungssport der Jugend der Gesundheitssport für meine Generation auch echt Spaß machen kann.
ZUR PERSON: Zweimal Gold bei Olympia, vier WM-Titel, sechs EM-Triumphe und acht deutsche Meisterschaften: die Eiskunstlauf-Vita von Katarina Witt ist einmalig. Nach ihrer aktiven Wettkampfkarriere, die sie jahrelang in Eisshows in Nordamerika fortsetzte, kümmert sich die Kufen-Queen um ihre Stiftung für benachteiligte Kinder. Bei den Winterspielen in Pyeongchang ist sie für die ARD im Einsatz.
Fotocredits: Peter Kneffel
(dpa)