Caipi und Bolt-Sieg als Belohnung für Scheders Qualen
Rio de Janeiro – Mit einem Becher Caipi in der Hand genoss Sophie Scheder im Deutschen Haus von Rio den 100-Meter-Erfolg von ihrem Idol Usain Bolt. Immer wieder musste sie ihre so unverhoffte Bronzemedaille in die Luft halten.
Und auch die so sagenhaft knapp unterlegene Vierte Elisabeth Seitz schöpfte im Kreise der Familie wieder Mut für einen neuen Angriff in vier Jahren.
«Nein, ich kann es immer noch nicht fassen. Das wird noch Tage dauern», meinte die 19-jährige Chemnitzerin nach ihrem stundenlangen Interview-Marathon. Erst eine Stunde vor Mitternacht fiel sie ihren Eltern in die Arme, für die Bronze ihrer Tochter das schönste Geschenk auf ihre Silberhochzeitsreise nach Rio darstellt. «Mental habe ich sie noch nie so stark erlebt», meinte Vater Harald. Und Mutter Andrea machte noch einmal deutlich, dass eigentlich «schon Platz fünf das Optimum für ihre Tochter gewesen» wäre.
Doch dann kam nach «der besten Leistung ihrer Karriere» – so ihre Heimtrainerin Gabi Frehse – auch noch ein wenig Glück dazu. «Ich habe nur noch geheult», berichtete sie über den Moment, als die Favoritinnen Gabrielle Douglas und Daria Spiridonowa patzten, die Überraschung schließlich perfekt war. Mit einem Gläschen Sekt hatte Eltern und Trainerin schon vor der nächtlichen Party den Triumph begossen. Scheder indes war in der «Casa Alemao» mit Postern begrüßt worden, auf denen unter ihrem Foto stand: «Du turnst uns an». Schließlich hatte Scheder am Stufenbarren für den ersten deutschen Medaillengewinn bei Olympia seit 28 Jahren gesorgt.
Doch auch die große Verliererin stand an diesem Abend im Rampenlicht. Elisabeth Seitz, das Gesicht des deutschen Frauen-Turnens seit vielen Jahren, hatte die Enttäuschung schon ein wenig heruntergeschluckt. Nur 0,033 Punkte fehlten ihr zu Bronze: «Ein Hauch von Nichts», wie sie selber sagt. «Ich lasse die Übung immer wieder Revue passieren. Und immer wieder komme ich zu dem Schluss: Du hast eine Weltklasse-Übung geturnt», meinte Seitz, die sich dem Beistand der Familie in der nicht leichten Stunde sicher sein konnte. «Es wäre gelogen, wenn ich nicht zugeben würde, dass wir alle enttäuscht sind», gestand Mutter Claudia Seitz, die für die ganze Familie die nicht gerade billigen Tickets auf der Tribüne für 700 Raeis pro Kopf (200 Euro) spendiert hatte.
Und Elis elfjähriger Bruder Gabriel versuchte, sich mit einem Tischtennis-Match gegen Fecht-Star Britta Heidemann im Deutschen Haus ein wenig abzulenken. «Ich bin schon ein bisschen traurig», meinte der Blondschopf ehrlich. Er hatte extra das Shirt mit der Aufschrift «Ich bin ein Fan von Elisabeth Seitz» angezogen, das er schon trug, als Eli 2011 in Berlin Vize-Europameisterin geworden war. Er selbst ist auch Bundeskader im Turnen, sein Lieblingsgerät: «Natürlich das Reck, wie bei Fabian Hambüchen», meinte er verlegen lächelnd.
Zu später Stunde entrutschte dann auch noch Cheftrainerin Ulla Koch ein Geständnis: «Ich habe schon vor zwei Tagen nachts von der Medaille geträumt», gab sie in der Feierrunde zu. «Aber sie hing da bei Eli um den Hals, nicht bei Sophie. Eigentlich hätten sie wirklich beide verdient.» Dies wäre jedoch bei Olympia selbst bei Punktgleichheit aufgrund der Tiebreak-Regeln nicht möglich gewesen.
Nach dem Super-Auftritt der deutschen Turnerinnen in Rio hofft Spordirektor Wolfgang Willam nun auf einen neuen Hype. «Diese Bilder von einem so harmonischen Team werden eine Initialzündung sein», ist er sicher, dass künftig nicht nur die Zahlen im Mädchen-Turnen weiter boomen. «Der Wille, künftig nicht nur dabei zu sein, sondern in der Weltspitze mit zu turnen» werde bestimmt noch stärker werden.
Fotocredits: Lukas Schulze
(dpa)