Der NSU-Prozess – was passierte im ersten Jahr?
Seit der Wiedervereinigung hat es in der Bundesrepublik keinen Fall gegeben, der ein so großes mediales Echo hervorgerufen hat. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), eine rechte Terrororganisation, wird u.a. für eine Mordserie an Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund in den Jahren 2000 bis 2006 verantwortlich gemacht. Der Fall ist von großer gesellschaftlicher Bedeutung und wird auch im Ausland mit regem Interesse verfolgt.
Prozessauftakt und das Leid der Hinterbliebenen
Am 6. Mai 2013 wurde der Prozess vor dem Oberlandesgericht München eröffnet. Fünf Angeklagte, darunter Ralf Wohlleben, André E., Holger G., Carsten S. und NSU-Mitglied Beate Zschäpe, stehen vor Gericht und werden beschuldigt, die Terrororganisation NSU gegründet oder unterstützt zu haben. In den ersten Tagen des Prozesses berichtet der Angeklagte Carsten S. in erschütternder Eindringlichkeit, wie man gemeinsam Dönerbuden überfiel und wie er den NSU-Mitgliedern Mundlos und Böhnhard Schusswaffen übergab. Als Pinar Kilic, die Witwe des Mordopfers Habil Kilic, am 22. Prozesstag in den Zeugenstand tritt, wird das Leid der Hinterbliebenen deutlich, die nicht nur ihrer Familienangehörigen und geliebten Menschen beraubt wurden, sondern sich auch oft jahrelanger Verdächtigungen ausgesetzt sahen. Immer wieder spricht Kilic, Zschäpe direkt an und zeigt ihre Frustration und Resignation über einen Staat, in dem die NSU-Täter zu lange morden konnten und die Opfer noch Anschuldigungen über sich ergehen lassen mussten. Zentral ist daher auch während des Prozesses die Frage, warum der Ermittlungsapparat der Kriminalpolizei so häufig falschen Spuren folgte.
Falsche Fährten
Zu den wiederkehrenden Ereignissen des Prozesses gehören die Auftritte der Kriminalbeamten, die sich den kritischen Fragen des Richters Manfred Götzl stellen müssen. So ist während verschiedener Prozesstage die Rede von falschen Fährten, etwa von der türkischen Drogenmafia oder rumänischen Auftragskillern. An anderer Stelle werden kommunikative Versäumnisse eingeräumt. Am 38. Prozesstag berichtet Wolfgang Fehmer, Geschäftspartner des Mordopfers Theodoros Boulgarides, die Polizei habe ihn regelrecht schikaniert und in den Dreck ziehen wollen. Und am 41. Prozesstag erzählt Ismail Yozgat, Vater des ermordeten Halit Yozgat, wie er das Vertrauen in die Justiz verloren hat. Auf frappierende Weise ähneln sich die Erlebnisse der Hinterbliebenen. Am Ende des ersten Prozessjahres tritt Siegfried Mundlos, Vater des NSU-Mitgliedes Uwe Mundlos, in den Zeugenstand. Die Schuld läge bei der Familie Böhnhardt, so der Tenor Mundlos. Als Richter Götzl nachhaken möchte, beschimpft Mundlos den Richter und erhält die Androhung, bei wiederholt unflätigem Verhalten ein Ordnungsgeld zu erhalten.
Wichtigster Strafprozess seit der Wiedervereinigung
Der Prozess um die rechte Terrororganisation NSU zählt zu den wichtigsten Strafprozessen in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik. Zu den wiederkehrenden Ereignissen des ersten Prozessjahres zählen die Schilderungen der Angehörigen, die unter die Haut gehen. Das Protokoll der Prozesstage erzählt von Nachbarn, die nichts gesehen haben wollen und von Kriminalbeamten, die die Täter im falschen Umfeld vermuteten. Vordringlich ist insbesondere die Frage, wie die NSU so lange unentdeckt bleiben konnte und wer sie unterstützte.
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